Das Klima verändert sich, unter anderem steigen die Durchschnittstemperaturen.
Das Mikroklima im Quartier – eine Planungsaufgabe
Freitag, 20.05.2022
Und mit der entsprechend steigenden Klimatisierung wird auch der Energiebedarf zunehmen. Außerdem steigen die Risiken für die Trinkwasserhygiene. Denn aufgrund der höheren Umweltwärme trifft das Trinkwasser vom Versorger oft nicht mehr mit einer Temperatur von 12 bis 13 °C in das Gebäude ein, sondern teilweise schon mit 18 bis 20 °C. Und damit nicht genug. Denn das Wasser wird im Gebäude selbst durch interne Wärmelasten weiter aufgeheizt, erreicht leicht 23 °C. Das fördert das Legionellenwachstum. Ergo muss das Kaltwasser wieder gekühlt werden. Was den Energiebedarf erneut erhöht…
Der Klimawandel ist kein Problem der Zukunft; die fortschreitende Erderwärmung wirkt sich bereits heute massiv auf die Städte aus. Denn die verdichteten, bebauten und versiegelten Strukturen wirken zum Teil wie ein Turbo auf manche Wetterausprägungen.
Die Städte überhitzen
International unter dem Begriff Urban Heat Islands („Urbane Hitze-Inseln“) zusammengefasste Gefahr ist bekannt und wird weltweit erforscht. Die Stadt Wien hat beispielsweise konkret festgestellt, dass die durchschnittliche Anzahl von sogenannten Hitzetagen (Temperaturen > 30 °C) um knapp 60 Prozent gewachsen ist und die Zahl der Sommertage (Temperaturen > 25 °C) um ungefähr ein Drittel angestiegen ist. Und dabei geht es keineswegs um ein Komfortproblem. Arbeitsphysiologen weisen darauf hin, dass steigende Temperaturen am Arbeitsplatz wie in der Freizeit zu einem erhöhten Erkrankungsrisiko führen. Die abnehmende Konzentrationsfähigkeit geht auf Kosten der Produktivität und zieht außerdem Leistungseinbußen nach sich, in deren Folge sich Fehlleistungen und Unfälle häufen. Das Umweltbundesamt setzt den Bereich der thermischen Behaglichkeit für sitzende Tätigkeiten bei 21 bis 26 C° an. Liegen die Temperaturen deutlich darüber, kann man von Leistungseinbußen zwischen 3 und 12 Prozent ausgehen. Umgerechnet auf die Volkswirtschaft würde das Verluste von 0,5 bis 2,5 Milliarden Euro entsprechen.
Das ist aber nicht der einzige Grund, weshalb die Arbeitsstättenverordnung für Temperaturen über 30 °C geeignete Maßnahmen vorsieht. Eindeutig dramatisch kann die Situation für geschwächte Menschen werden. Laut Deutschem Ärzteblatt „traten elf der extremsten Hitzewellen seit 1950 nach der Jahrtausendwende auf“ – mit unmittelbaren Auswirkungen auf die Mortalität. Das Robert Koch-Institut (RKI), der Deutsche Wetterdienst (DWD) und das Berliner Krankenhaus Charité ermittelten im „Zusammenhang zwischen (...) Wärmebelastung (…) und erhöhter Mortalität“ für die extremen Jahre dieses Jahrtausends hitzebedingte Übersterblichkeiten von 300 bis 7.600 Fällen. Eingedenk der Tatsache, dass hierzulande etwa drei Viertel der Bevölkerung in Städten beziehungsweise Ballungszentren leben, besteht gerade dort klarer Handlungsbedarf. Ein Lösungsansatz liegt in den Händen der Stadtplaner, denn auf einzelne Gebäude bezogene Maßnahmen greifen zu kurz; ein größeres Denken, zum Beispiel in Quartieren, verspricht hingegen Erfolg. !PAGEBREAK()PAGEBREAK!
Hitze und Starkregen
Um den folgenden Lösungsansatz würdigen zu können, muss man wissen, dass die aufgeheizten Städte ein weiteres Problem heraufbeschwören. Wettersysteme werden instabil, sobald größere Temperaturunterschiede auftreten, beziehungsweise Luftdruckdifferenzen herrschen. Die beschriebenen urbanen Hitzeinseln können als Motor für ein extremes Wetterereignis fungieren, denn Starkregen fällt häufig aus sogenannter konvektiver Bewölkung, also aus Luftmassen, die schnell auf- oder absteigen und sich dadurch rasch erwärmen oder abkühlen. Die stark erwärmte, aufsteigende Luft kann große Mengen an Wasser aufnehmen, welches in kühleren Luftschichten abkühlt, kondensiert und als Starkregen niedergeht. Diese Art von Niederschlägen können punktuell auftreten, sodass binnen kürzester Zeit große Wassermassen auf einer kleinen Fläche anfallen.
Sind die vorhandenen Entwässerungssysteme sowie die Kanalisation auch nur vorübergehend überfordert, drohen Schäden an Einrichtungen und Gebäuden. Dabei spielt der Zeitfaktor eine wesentliche Rolle: Ginge nämlich dieselbe Menge Wasser nicht zum Beispiel in einer Stunde, sondern über den ganzen Tag verteilt nieder, wäre das einerseits vollkommen unproblematisch. Andererseits ist die Ableitung von Niederschlagswasser immer die schlechteste Lösung. Es gilt also in einem ersten Schritt zunächst einmal, große Mengen an Niederschlagswasser „zwischenzuparken“. Und dann? Früher ließ man das gesammelte Wasser möglichst vor Ort versickern, heute ist man einen großen Schritt weiter.
Von der Natur lernen
Die wichtigsten Gründe für das Aufheizen der Städte sind oben genannt. Auf dem Land, und ganz besonders im Wald, liegen die Temperaturen deutlich tiefer, und das hat mehrere Gründe. Neben der natürlichen Schattenbildung durch die Vegetation ist eine weitere wesentliche Ursache dafür in der Verdunstung zu finden. Durch Verdunstung findet nämlich immer ein Kühlungsprozess statt, man kennt das von nasser Kleidung. Wird die Verdunstung durch äußere Einflüsse begünstigt, zum Beispiel durch Wind, verstärkt sich der Effekt. Ein großer Baum kann pro Tag bis zu 500 l Wasser verdunsten und stellt so eine enorme Kühlleistung bereit. Diese guten Eigenschaften bewachsener Flächen kann man sich in der Stadtplanung durch horizontale und vertikale Begrünung zunutze machen. Ein angenehmer Nebeneffekt: Durch die Bepflanzung, etwa eines Daches, kann die IR-Strahlung der Sonne nicht bis zur schweren Tragstruktur durchdringen und das Aufheizen dieser thermischen Speichermasse wird verhindert. Außerdem ist eine Begrünung in der Lage, bei einem Starkregen die Funktion eines ersten Puffers zu übernehmen. Dieser wird natürlich nicht ausreichen, aber er hilft mit, die Situation mit Blick auf den Zeitfaktor zu entschärfen.
Da die Prognosen der Fachleute künftig von trockeneren Sommern und feuchteren Wintern ausgehen, muss das Wasser, welches die Vegetation auf Dächern und Fassaden benötigt, natürlich vorhanden sein. Deshalb ist ein Gesamtkonzept anzustreben, das mehrere Funktionen übernimmt: Um Starkniederschläge schadlos überstehen zu können, sind großzügig dimensionierte Rigolen vorzusehen, die große Mengen an Niederschlagswasser aufnehmen können. Diese sollten sowohl als Versickerungsrigolen (mit einem Vlies umhüllt), als auch als Zisternen (mit einer Folie umhüllt) ausgebildet sein; auf diese Weise kann die Anlage Wasser für die spätere Verwendung speichern. Sollten die Speicher gefüllt sein, während sich ein Starkregenereignis ankündigt, ist es möglich, große Mengen Wasser rechtzeitig zu versickern, um wieder über die notwendigen Volumen zu verfügen.
Die Verbindung der unterirdischen Wasserspeicher mit der Dachbegrünung über ein mit Pumpen ausgestattetes Leitungsnetz stellt sicher, dass das Wasser in beide Richtungen geschickt werden kann und immer in ausreichender Menge vorhanden ist. Eine Steuerung, welche permanent meteorologische Daten wie Niederschlagsmengen, Luftfeuchte, Windgeschwindigkeiten und -richtung, Temperatur, Sonnenscheindauer etc. detektiert und außerdem Wetterprognosen abruft und in Modellberechnungen einpflegt, regelt und überwacht alle notwendigen Prozesse.
Sofern bei künftigen Planungen auf unnötige Versiegelungen des Bodens verzichtet, der Anteil der Grünflächen – auch auf Gebäuden – erhöht und ein gesteuertes Regenwassermanagement samt der entsprechenden Reinigungsanlagen und Retentionsvolumen in ein schlüssiges Konzept eingebunden wird, kann das Aufheizen der Städte reduziert und eine spürbare Kühlung durch Verdunstung erzielt werden. Beim Bau des Goethequartiers in Offenbach bei Frankfurt (Architekten Landes & Partner, Frankfurt) hat man diesen Ansatz konsequent umgesetzt. In dem Viertel am Main werden 78 Prozent des Niederschlagswassers in der beschriebenen Weise über Grünflächen verdunstet und 22 Prozent versickert; eine Ableitung über die Kanalisation findet nicht mehr statt.
Galerie
Sie haben eine Frage zu diesem Artikel? Dann stellen Sie der Redaktion hier Ihre Fachfrage!