Zuerkannte und selbsternannte Trinkwasser-Experten gaben sich daraufhin in der Folge wahlweise die Tastatur oder das Mikro in die Hand, um im Blog, im Radio oder Fernsehen deutlich zu machen, wie gesundheitserhaltend die Einhaltung der Systemtemperaturen von 60/55 °C nun mal sei – und daran zu rütteln den wortwörtlichen Untergang des Abendlandes bedeuten könne. Differenzierung? Fehlanzeige. Kaum ein Wort zum bestimmungsgemäßen Betrieb der Trinkwasserinstallation, zur regelmäßigen Durchströmung, zum kontinuierlichen Wasseraustausch oder was auch immer neben der Systemtemperatur ebenfalls dafür beiträgt, dass Trinkwasser auf Dauer genusstauglich, sauber und rein bleibt.
Denn fest steht auch: Das sklavische Festhalten an der (unter Schutzaspekten zweifellos wohl gemeinten) 60/55-Spreizung kostet uns pro Kelvin mehr (oder weniger) etwa 2,5 Prozent Heizenergie, rechnete jüngst ein namhafter deutscher Markenhersteller von Installationstechnik vor. 2,5 mal 5 entsprächen damit, wenn wir die Spreizung in der Trinkwarmwasserinstallation auf 55/50 °C absenken würden, 12,5 Prozent Energieeinsparung. So rein buchhalterisch gesehen. In der Praxis mag das etwas weniger sein, wie auch Legionellen nicht ohne jede Nachkommastelle bei Schlag 50 °C urplötzlich ihren Vermehrungsdrang entdecken – aber selbst zehn Prozent wären doch schon ein Wort.
In einer solchen Situation trotzdem die 60/55-Spreizung als sakrosankt anzusehen, muss man sich nicht nur leisten wollen, sondern auch können. Und dann gleich dazu sagen: Nein, wir halten nichts von der Wärmepumpen-Offensive der Bundesregierung ohne flankierende Stromleistungen, um weiterhin in Großanlagen uneingeschränkt die 55 °C-Grenze aufrecht zu erhalten.Schließlich wurde die Regel mal aus gutem Grund aufgestellt, und schärfer geht bekanntlich immer, weniger aber, zumindest aus Sicht der Verwalter, nicht der Gestalter, nimmer. Also, so ähnlich wie bei der Steuer ...
... mit einem Schlückchen Klarwasser
Womit wir, am Ende des immer noch nicht ausklingend wollenden Dürre-Deutschland-Sommers, beim zweiten Thema wären: der Trinkwasserversorgung im öffentlichen Raum. Denn Potzblitz, was tausende Spanien-, Frankreich- und Italien-Urlauber alljährlich schon seit Jahren nach der Heimkehr feststellen, überschritt nach wochenlangen Temperaturen jenseits der 35 °C-Marke Anfang August auch die Wahrnehmungsschwelle des Gesetzgebers. Plötzlich stand sie im Raum, die Forderung nach möglichst vielen öffentlichen Trinkwasserstellen in den Städten und Gemeinden, damit das Volk sich unter sengender Sonne allzeit am kühlen Nass möge laben können. Also Zapfstellen wie jene, die auf der italienischen Piazza dei popoli genauso üblich sind wie auf dem französischen Place de Ville.
Beziehungsweise eben nicht wie jene, denn die wahlweise ständig sprudelnden Minibrünnlein oder ihre eher funktionsorientierten, schlichten Druckspüler-Varianten müssen – richtig: auch in den Rahmen passen, der unter anderem die Trinkwasserverordnung (TrinkwV) sowie die zugehörigen Regelwerke zum Betrieb von Trinkwasserinstallationen mit Wasserabgabe an die Öffentlichkeit, setzt. Stichwort 1: bestimmungsgemäßer Betrieb mit regelmäßiger Nutzung gegen – siehe oben – Verkeimung. Stichwort 2: Beprobung, was mit regelmäßigen Kosten für den Betreiber verbunden ist. Wobei – Stichwort 3 – auch noch zu klären sei, wer die Kosten übernehme, wenn die gesamtdeutsche Bevölkerung den Durst permanent am öffentlichen Brunnen löscht. Aber das hat jetzt nichts mit der hierzulande wohl kulturell verankerten Begeisterung für die Einhaltung von Regelwerken zu tun ...
Natürlich steht es außer Zweifel, dass auch für „öffentliche“ Trinkwasserqualität das Niveau eines Lebensmittels gehalten werden muss. Schwierig wird es nur, wenn unter derartigen Deckmäntelchen – nichts passiert oder Initiativen geblockt werden, die eigentlich in das Kapitel „Menschenrechte“ gehören: Schon 2011 hat der UNO-Menschenrechtsrat nämlich genau das, das Recht auf Wasser festgestellt. Und dabei nicht haarspaltend ausdifferenziert, dass das nur für die infrastrukturarmen Regionen in Zentralafrika gelte. In den Industrieländern könnte man sich, nur so als Idee, in der Konsequenz nämlich genauso die Frage stellen: „Und wo haben wir noch Nachholbedarf; erfüllen auch wir dieses Menschenrecht im (sic!) öffentlichen Raum?“ Es ist bezeichnend, dass der DVGW in diesem Zusammenhang, als Fazit im Rahmen seiner Stellungnahme zur „Richtlinie (EU) 2020/2184 EU-Trinkwasserrichtlinie“ feststellt: „Der völlig unzureichende Entwurf der Kommission (Februar 2018) konnte im Laufe der Verhandlungen essentiell verbessert werden. Dennoch trägt die neue Trinkwasserrichtlinie mehr als bislang eine politische Handschrift (Right2Water-Initiative, Interessen des Parlaments etc.).“