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SHK-Systemtechnik

Trinkwasser-Desinfektion ist eine stumpfe Waffe!

Samstag, 11.07.2020

Der Einsatz von Desinfektionsmitteln gegen Viren und Bakterien wird aktuell nicht nur auf der politischen (amerikanischen) Ebene diskutiert beziehungsweise belächelt. Auch in punkto Trinkwasserhygiene überlegen derzeit immer mehr Experten, ob es sinnvoll ist, den Bakterien in Trinkwasser-Installationen mit Desinfektions­maßnahmen den Kampf anzusagen. Doch dies könnte fatale Folgen haben…

Die Ausweitung der Trinkwasserbeprobung gewerblich genutzter Anlagen weist nach, was viele Forscher schon lange vermuten: Verkeimte Trinkwasser-Installationen in einem gesundheitsgefährdenden Ausmaß sind keine Seltenheit. Insbesondere Legionellen stellen eine reale Gesundheitsgefahr dar. Daher wird die prophylaktische und nachträgliche chemische Desinfektion wieder häufiger diskutiert. Für einen langfristigen Erfolg gegen Bakterien im Trinkwasser ist die Desinfektion jedoch eine stumpfe Waffe.

Die hohen Anforderungen der Trinkwasserverordnung an die Trinkwassergüte grenzt die Anwendung von Desinfektionsmaßnahmen stark ein.
Quelle: Viega
Die hohen Anforderungen der Trinkwasserverordnung an die Trinkwassergüte grenzt die Anwendung von Desinfektionsmaßnahmen stark ein.

Auch die „Energiespar-Idee“, bei kontinuierlicher Trinkwasserdesinfektion die Warmwassertemperatur im System abzusenken, ist weder effektiv noch gemäß dem Minimierungsgebot der Trinkwasserverordnung (TrinkwV §6 Abs. 3) gestattet. Desinfektionsmaßnahmen sind generell nur in engen Grenzen erlaubt und an zahlreiche Bedingungen geknüpft.

Im Rahmen der Capnetz-Studie im Jahr 2008 |1 ermittelten die Wissenschaftler für Deutschland jährlich 15.000 bis 30.000 Krankheitsfälle durch Legionellen. Die Mortalität lag schätzungsweise bei 1.500 bis 2.000. Welchen Anteil daran verkeimte Trinkwasser-Installationen als Infektionsort haben, ist allerdings nicht mit letzter Sicherheit zu ermitteln. Hier lässt jedoch eine Statusanalyse aufhorchen, die der Arbeitskreis Trinkwasseranalytik der Firmen im Gas- und Wasserfach (figawa) schon zum zweiten Mal in Auftrag gab.

Für die erste Statusanalyse 2015 wurden über eine Million Datensätze von Probenahmen aller Gebäudearten, bereitgestellt von fünf deutschen Trinkwasserkontrolldienstleistern vom Institut für Hygiene und Öffentliche Gesundheit (ihph) der Universität Bonn ausgewertet. Die Untersuchung ergab, dass in dem Betrachtungszeitraum von 2012 bis 2015 etwa jedes dritte Gebäude mindestens einmal einen positiven Legionellenbefund zeigte. In rund jedem sechsten Gebäude wurde eine Überschreitung des technischen Maßnahmenwertes festgestellt |2. Eine erneute Statusanalyse auf Grundlage einer besseren Datenqualität, die das ihph 2018 präsentierte, ergab ein ähnliches Bild.

Die Auswertung der Probenahmen bestätigen also belastbar, dass der Erhalt der Trinkwassergüte eine ernste Herausforderung darstellt. Daher werden inzwischen auch Stimmen laut, die die chemische Desinfektion als Lösungsweg gegen Mikroorganismen im Trinkwasser vorschlagen. Allerdings ist ein solcher Weg weder nachhaltig noch erfolgreich und nur in begründeten Ausnahmefällen mit der Trinkwasserverordnung (TrinkwV) in Übereinstimmung |3.

Desinfektion ist keine nachhaltige Lösung

Im speziellen Fall einer kontinuierlichen Zugabe von chemischen Desinfektionsmitteln muss diese im Einklang mit der TrinkwV und mit Genehmigung des Gesundheitsamtes erfolgen. Nach derzeitigem Kenntnisstand werden Legionellen aber dadurch nicht ausreichend beseitigt. Eine permanente Desinfektion mit Chemikalien ist demnach nicht zweckmäßig |4. Außerdem erhöhen alle nach § 11 der TrinkwV |3, 5 zugelassenen chemischen Desinfektionsmittel aufgrund ihrer stark oxidierenden Eigenschaften die Korrosionswahrscheinlichkeit |6.

Der durch den Desinfektionsstress bei vielen Bakterien erzeugte VBNC-Zustand (viable but nonculturable; lebend, aber nicht kultivierbar) kann zu einer Unterschätzung der Anwesenheit von hygienisch relevanten Mikroorganismen und zu einer Überschätzung der Effektivität von Desinfektions- und ähnlichen Sanierungsmaßnahmen führen. Durch den Eintritt in den VBNC-Zustand lassen sich hygienisch relevante Mikroorganismen nicht mehr mit den dafür standardisierten Kulturmethoden nachweisen. Da VBNC-Zellen dadurch gekennzeichnet sind, dass sie immer noch Anzeichen von Vitalität zeigen, sind sie nicht als irreversibel inaktiviert anzusehen. Eine Rückkehr in den kultivierbaren und auch infektiösen Zustand kann somit nicht ausgeschlossen werden, obwohl sie in der Trinkwasserprobe nicht festgestellt wurden |7.

Die prophylaktische Desinfektion eines mikrobiell einwandfreien Wassers ist grundsätzlich abzulehnen. Der dauerhafte Einsatz von chemischen/elektrochemischen Desinfektionsmitteln in der Trinkwasser-Installation ohne Beseitigung der technischen und betrieblichen Mängel widerspricht dem Minimierungsgebot nach § 6 Absatz 3 TrinkwV und verstößt gegen § 17 Absatz 1 TrinkwV. Vielmehr ist der Unternehmer und der sonstige Inhaber einer Wasserversorgungsanlage (UsI) zur Beachtung der allgemein anerkannten Regeln der Technik verpflichtet. Eine Dauerdesinfektion ohne zielführende Ertüchtigung der Trinkwasser-Installation steht somit im Widerspruch zur TrinkwV |8, 9.

Beschreibungen für chemische Desinfektionen wie „spezielles Sanierungsverfahren“, „zerstörungsfreie Installations-Instandsetzung“, „chemische Sanierung“ oder „mikrobiologische Sanierung“ sind der Situation nicht angemessen und stellen das Verfahren falsch dar. Es kann nur „technisch“ nachhaltig saniert werden.

Als „Energiesparmaßnahme“ nicht zulässig

Desinfektionsmaßnahmen, die eine Temperaturabsenkung des Warmwasserspeichers kompensieren sollen, um Energie zu sparen, sind ebenfalls unzulässig. Darunter fällt vor allem die häufig erwähnte permanente chemische Desinfektion des Trinkwassers. Hier gilt grundsätzlich, dass sich Energie sparende Maßnahmen einer kritischen Prüfung durch Experten stellen müssen, damit die Reduzierung der Warmwassertemperatur nicht auf Kosten eines erhöhten Risikos für Legionelleninfektionen geht |10.

Schon aufgrund der vorher genannten Bedingungen (Korrosion, VBNC-Zustand, Minimierungsgebot) ist also eine permanente chemische Desinfektion als „Energiesparmaßnahme“ nicht sinnvoll und zielführend.

Die Trinkwasserverordnung verlangt die Planung, Installation und den bestimmungsgemäßen Betrieb gemäß den allgemein anerkannten Regeln der Technik. Sind die erfüllt, ist eine Trinkwasseranlage meistens hygienisch einwandfrei.
Quelle: Viega
Die Trinkwasserverordnung verlangt die Planung, Installation und den bestimmungsgemäßen Betrieb gemäß den allgemein anerkannten Regeln der Technik. Sind die erfüllt, ist eine Trinkwasseranlage meistens hygienisch einwandfrei.

Legionellenschaltung nicht zielführend

Bei einer periodischen, temporären Temperaturerhöhung im Warmwasserspeicher inklusive Zirkulationssystem (zum Beispiel eine „Legionellenschaltung“ oder „Legionellenschleuse“) handelt es sich gemäß DVGW W 551 |4 und DVGW W 557 |9 um keine thermische Desinfektion (siehe dazu auch Tabelle 8, DVGW-Arbeitsblatt W 556 |11. Eine solche Maßnahme ist daher nicht zielführend. Weiterhin kann sie bei dauerhafter Anwendung zu einer Schädigung der eingebauten Produkte und Werkstoffe führen |11.

Ungültige Probenahmen

Probennahmen erfolgen bei normalem bestimmungsgemäßem Betrieb der Trinkwasser-Installation. Eine temporäre Erhöhung der Warmwasserspeichertemperatur, Spülungen oder eine Desinfektion der Trinkwasser-Installation direkt vor der Probennahme widersprechen dem Schutzzweck der Untersuchung nach TrinkwV. Eine direkt zuvor erfolgte thermische Desinfektion ist bei der Probenahme zum Beispiel häufig an dem Parameter „Temperaturkonstanz“ ablesbar und macht damit die Probenahme ungültig.

Behebung von technischen Mängeln

Wird bei einer Trinkwasser-Probenahme nach DIN EN ISO 19458 Zweck b eine mikrobielle Belastung festgestellt, die über den technischen Maßnahmenwerten für Legionellen der TrinkwV liegt, ist grundsätzlich von einem technischen Mangel auszugehen. Mängel aus hygienischer Sicht liegen insbesondere dann vor, wenn gesetzliche Vorgaben, allgemein anerkannte Regeln der Technik mit hygienischer Relevanz, Empfehlungen des Umweltbundesamtes oder Empfehlungen des Robert Koch-Institutes für medizinische Einrichtungen nicht eingehalten oder beachtet werden.

Nicht jede technische Auffälligkeit bedeutet jedoch einen Mangel, der eine Sanierung erforderlich macht. Allerdings muss jede Auffälligkeit bewertet werden, selbst wenn keine mikrobielle Belastung vorliegt. Eine umgehende Behebung technischer Mängel ist erforderlich, wenn es gilt, eine schwierig zu beseitigende Verkeimung als Folge des Mangels zu vermeiden (Vorsorgeprinzip) |11.

Um unmittelbare Gesundheitsgefährdungen durch Mikroorganismen zu vermeiden, kann als Sofortmaßnahme der Einsatz endständiger bakteriendichter Filter an ausgewählten Entnahmestellen übergangsweise den Weiterbetrieb der Trinkwasseranlage während des Sanierungszeitraumes ermöglichen. Die Standzeiten und Einsatzgrenzen der jeweiligen Produkte sind zwingend einzuhalten. Zu beachten ist ebenfalls, ob die Werkstoffe im Filter, die im Kontakt mit Trinkwasser stehen, den aktuellen Vorgaben des Umweltbundesamtes (UBA) entsprechen. Zum Beispiel weisen silberbeschichtete Modelle höhere Standzeiten und damit Kostenvorteile auf, besitzen aber nach geltender Trinkwasserverordnung keine Zulassung |12.

Mit Ausnahme von Hochrisikobereichen in Krankenhäusern sollten endständige Filter nur vorübergehend bis zur Wiederherstellung mikrobiell einwandfreier Verhältnisse installiert werden |11.

Das Wann und Wie einer Trinkwasserdesinfektion

Ein dauerhafter Sanierungserfolg ist in der Regel nur in Kombination von bautechnischen mit verfahrenstechnischen Maßnahmen zu erwarten. Ist während der technischen Sanierung eine gesundheitsgefährdende mikrobielle Kontamination vorhanden, kann der Einsatz einer Trinkwasserdesinfektion bis zur vollständigen Sanierung der Trinkwasser-Installation zielführend sein. Zu überprüfen ist aber immer, ob nicht andere Maßnahmen, wie zum Beispiel endständige Filter, besser geeignet sind |11.

Ist eine Trinkwasserdesinfektion unvermeidbar, setzen Verordnungen und Regelwerke dieser verfahrenstechnischen Maßnahme enge Grenzen: Vor Anwendung einer Desinfektion muss sichergestellt sein (Nachweis), dass alle Teile des Systems in puncto thermische beziehungsweise chemische Beständigkeit für die Durchführung der Maßnahme geeignet sind |4. Das Desinfektionsverfahren ist auf die in der Trinkwasser-Installation vorhandenen Werkstoffe abzustimmen (Nachweis) |11. Die Desinfektion ist mit allen relevanten Begleitumständen vollständig zu dokumentieren. In keinem Fall ersetzt eine Desinfektion die Sanierung einer Trinkwasser-Installation |4, 11, 13.

Eine technische Sanierung muss möglichst schnell erfolgen und darf nicht durch eine Trinkwasserdesinfektion hinausgezögert werden. Ziel der Zugabe eines Desinfektionsmittels ist nur die Minimierung der Vermehrung von Mi­kroorganismen (insbesondere von Krankheitserregern). Bei einem Ausfall, einer Störung oder einer Unterbrechung der Desinfektionsmitteldosierung vor Beendigung der kompletten Sanierung muss deswegen mit einem Anstieg der mikrobiellen Belastung gerechnet werden.

Eine wesentliche Voraussetzung für die Wirkung des Desinfektionsmittels ist, dass dieses in ausreichender Konzentration in alle kontaminierten Bereiche der Trinkwasser-Installation gelangt. Vor Beginn der Desinfektion ist deshalb anhand des Bestandsplanes zu prüfen, ob und durch welche Maßnahmen dies gesichert werden kann. Wichtige Maßnahmen sind zum Beispiel:

  • Die Sicherstellung der Zirkulation durch einen hydraulischen Abgleich des Zirkulationssystems (siehe DIN 1988-300).

  • Die regelmäßige Wasserentnahme an allen Entnahmestellen (bestimmungsgemäßer Betrieb); ist diese nicht gegeben, ist eine regelmäßige Wasserentnahme zu simulieren, beispielsweise durch Umsetzung eines Spülplans.

  • Die Abtrennung nicht genutzter Leitungen.

  • Die Reinigung der Trinkwasser-Installation (siehe DVGW W 557) |9, 11.

Neben den relevanten mikrobiologischen Parametern sind bei einer Desinfektion auch die in der TrinkwV genannten Desinfektionsnebenprodukte zu bestimmen. Im Fall der Dosierung von Chlor oder Hypochloritverbindungen sind dies die Konzentrationen von Trihalogenmethan (THM) sowie Bromat (nur bei Hypochloritverbindungen). Bei der Verwendung von Chlordioxid sind Chlorit und Chlorat zu erfassen |5.

Von Christian Schauer
Leiter des Kompetenzzentrums Trinkwasser bei Viega
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