Die öffentliche Kanalisation gehört in Deutschland zu den am wenigsten beachteten Teilen der Infrastruktur.
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Starkregenereignisse: Überlastung der Kanalisation, Überflutung durch Rückstau
Mittwoch, 02.02.2022
Obwohl Wasser in fast allen Lebensbereichen eine zentrale Rolle spielt, wird das erzeugte Abwasser und dessen Weg in die öffentliche Kanalisation kaum wahrgenommen. Ins Bewusstsein rückt die Kanalisation erst, wenn sie überlastet ist oder im schlimmsten Fall versagt: Kanalindizierte Überflutung ist die sofort sichtbare Folge von Starkregenereignissen. Dass die dadurch entstehenden Schäden katastrophale Ausmaße annehmen können, zeigen die Überflutungen im Juli 2021. Doch auch ohne die Überschwemmung ganzer Landstriche kann Starkregen für viele Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer enormen Schaden anrichten: in Form vollgelaufener Keller und überschwemmter Erdgeschosse.
Die Beseitigung der Flutwasserschäden an Infrastruktur und privatem Wohneigentum verursacht enorme Kosten. Als Reaktion auf die Flutkatastrophe im Juli 2021 hat der Bundestag am 7. September 2021 einen Hilfsfonds in Höhe von 30 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Zudem wird an unterschiedlichen Lösungsansätzen gearbeitet, um die fatalen Auswirkungen von immer häufiger auftretenden, extremen Regenereignissen einzudämmen. Ein Ansatz ist die Einführung von Frühwarnsystemen, die per App Pegelstände oder Unwetterwarnungen an die Bürger ausgeben. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) warnt in zwei Stufen vor diesen großen Niederschlagsmengen, welche meist sehr lokal auftreten. Ab einer Regenmenge von 15 l/m2 in einer Stunde wird eine sog. „Markante Wetterwarnung“ ausgegeben, Unwetterwarnungen bei entsprechend höheren Werten.
Auch für die Dimensionierung von Stadtentwässerungsnetzen werden die statistischen Auswertungen des DWD zu Starkregenereignissen in der jeweiligen Region genutzt. Aus wirtschaftlichen Gründen können Entwässerungssysteme jedoch nicht so ausgelegt werden, dass mit Auftreten von Starkregen ein absoluter Schutz vor Überflutung gewährleistet ist.
Aber nicht nur Starkregenereignisse, sondern auch Querschnittsverengungen, die durch Ablagerungen oder Verstopfungen im Kanalsystem entstehen, Rohrbrüche, Pumpenausfälle im öffentlichen Kanalsystem führen dazu, dass das Abwasser nicht mehr so schnell wie nötig abfließen kann und sich dadurch über die Ablaufstellen unterhalb der Rückstauebene wie z.B. Bodenabläufe, Waschbecken, WCs, Waschmaschinen und Duschen in das Gebäude zurückstaut. Die Räume unterhalb der Rückstauebene werden bereits dann schon überflutet, bevor es für die Öffentlichkeit durch angehobene Gullydeckel und überflutete Straßen überhaupt sichtbar wird.
Die Rückstauebene ist immer in der Ortssatzung definiert und wird dem Anschlussberechtigtem auf Anfrage sowie im Rahmen des Entwässerungsgenehmigungsverfahrens mitgeteilt. In der Entwässerungssatzung von Erfurt findet man z.B. folgende Beschreibung: „Als Rückstauebene gilt jeweils die Höhe der entgegen der Fließrichtung nächstgelegenen Entlastungsmöglichkeit des Kanalnetzes bei Überstau oberhalb der Einbindestelle des Anschlusskanals in den Kanal.“
Sind Entwässerungsgegenstände unterhalb der Rückstauebene vorhanden, erweisen sich sorgfältig ausgewählte technische Barrieren in Form von Hebeanlagen und Rückstauverschlüssen als die beste Vorsorge gegen eindringendes Wasser durch eine überlastete Kanalisation.
Normen und rechtliche Grundlagen
Bei der Planung, Ausführung und Wartung von Rückstausystemen sind eine Reihe von technischen Regeln zu beachten. Diese Normen gilt es bei der Bedarfsermittlung und Auswahl der richtigen Barriere gegen Rückstau aus dem Kanal zu beachten.
Maßgebend für Rückstauschutz sind die Normen DIN EN 12056 und DIN 1986-100. Sie regeln die grundsätzliche Planung und Dimensionierung von Entwässerungsanlagen innerhalb von Gebäuden. DIN 1986-100 ist zusätzlich bis zur Grundstücksgrenze gültig. Für die Grundstücksentwässerung gilt die Norm DIN EN 752 „Entwässerungssysteme außerhalb von Gebäuden“. Ihr Geltungsbereich erstreckt sich von der Gebäudeperipherie bis zum Klärwerk und ist damit überwiegend auf die kommunale Entwässerung zugeschnitten.
Gemäß DIN EN 12056 und DIN 1986-100 sind Ablaufstellen unterhalb der Rückstauebene durch aktive Rückstausicherungen, also automatisch arbeitende Abwasserhebeanlagen mit Rückstauschleife, gegen Rückstau aus dem Kanal zu sichern.
Passive Rückstausicherungen, also Rückstauverschlüsse können verwendet werden, wenn alle folgenden Kriterien erfüllt sind:
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Das Abwasser muss im natürlichen Gefälle abgeführt werden können; die Räume müssen von untergeordneter Nutzung sein, d.h. keine wesentlichen Sachwerte oder die
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Gesundheit der Bewohner dürfen bei Überflutung der Räume beeinträchtigt werden;
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der Benutzerkreis muss klein sein und diesem muss ein WC oberhalb der Rückstauebene zur Verfügung stehen;
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bei Rückstau kann auf die Benutzung der Ablaufstelle verzichtet werden.
Vergleicht man die oben zitierten Grundsätze mit einer der wichtigsten Regeln aus der Mathematik, „Punktrechnung vor Strichrechnung“, so kann die Abwasserhebeanlage mit der Punktrechnung und der Rückstauverschluss mit der Strichrechnung verglichen werden.
Warum die Vorgaben aus der Norm so strikt sind, leitet sich aus der Erfahrung hinsichtlich der vorgeschriebenen Wartungsarbeiten ab. Da es sich um technische Anlagen handelt, sind regelmäßige und sorgfältige Wartungsarbeiten unbedingt durchzuführen. Die Regeln für Betrieb und Wartung von Entwässerungsanlagen für Gebäude und Grundstücke sind in der DIN 1986-3 festgelegt.
In der Praxis bedeutet das: Rückstausysteme müssen zwar ständig funktionsfähig sein, sind aber nicht – wie etwa Dusche oder Heizung – täglich im Gebrauch und vor Augen. Fällt beispielsweise eine Abwasserhebeanlage aufgrund mangelhafter oder unterlassener Wartung aus, so wird der Fehler schnell erkannt und nur das eigene Abwasser nicht abgepumpt. Der Schaden hält sich in Grenzen und Rückstauschutz ist weiterhin gegeben. Der Ausfall eines Rückstauverschlusses, auf Grund mangelhafter oder unterlassener Wartung, wird meist erst bei einem Rückstaufall erkannt. Zu spät, denn ein Schutz gegen Rückstau ist dann nicht mehr gegeben.
Und so stellt sich im Schadensfall meist unerwartet die Frage der Haftung. Der Bundesgerichtshof urteilte folgendermaßen und unterstreicht damit, dass umfassender Rückstauschutz Privatsache ist und in der Verantwortung der Hausbesitzer, Bauherren oder Altbausanierer liegt: Bei einem Rückstauschaden haftet die Gemeinde trotz unterdimensionierter Kanalisation nicht aus Amtshaftung oder aus öffentlich-rechtlichem Schuldverhältnis, wenn der Grundstückseigentümer entgegen der Entwässerungssatzung keine eigene Rückstausicherung eingebaut hat.
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