Städte müssen sich an den Klimawandel anpassen. Dazu sind ganzheitliche Anpassungsstrategien notwendig. Zahlreiche Wissenschaftler fordern dafür eine enge Vernetzung der Themenfelder Klima, Ressourcen und Stadtentwicklung und machen auf die drängensten Herausforderungen und Chancen für eine klimagerechte Stadt aufmerksam.
Klimagerechte Stadt gefordert
Donnerstag, 18.12.2014
Dass sich Städte verändern müssen, um sich an den Klimawandel anzupassen, ist in Politik und Wissenschaft unumstritten. Das setzt voraus, dass die Ressourcen synergetisch genutzt werden. Dazu ist die Vernetzung aller am Städte- und Wohnungsbau Beteiligten aus Forschung und Praxis notwendig. Nach Einschätzung zahlreicher Experten fehlt es jedoch an Forschungs- und Förderprogrammen, die derartige Planungsansätze für eine klimagerechte Stadtentwicklung unterstützen. Wichtig sei es, dabei sicherzustellen, dass der Forschungs- und Umsetzungsbedarf rechtzeitig erkannt wird, damit Lösungen in der Praxis ebenso frühzeitig erprobt und umgesetzt werden können: Eine integrierte Stadt- und Infrastrukturplanung kann dabei beispielsweise Wissen und Erfahrung unterschiedlicher Fachbereiche in Städte- und Wohnungsbau vernetzen.
Vernetzung am Beispiel Wasser
Die Experten kritisieren die gegenwärtige Konzentration auf Einzeldisziplinen auch deshalb, weil sie ihrer Meinung nach zu kurz greift. „Deutlich wird das zum Beispiel bei der Stadtsanierung, dem Denkmalschutz und der energetischen Sanierung”, sagt Wasserexperte Engelbert Schramm, Mitglied der Institutsleitung des Instituts für sozial-ökologische Forschung (ISOE). „Hier werden ökologische und soziale Ziele getrennt voneinander verfolgt, die Ergebnisse sind deshalb mitunter suboptimal für das Gesamtsystem Stadt”. Das Thema klimagerechte Stadt sei aber zentral und müsse deshalb ganzheitlich betrachtet werden.
Wenn es um die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten städtischer Räume geht, kann Wasser dabei ein Querschnittsthema sein, denn ähnlich wie Niederschlagswasser speist häufig auch gereinigtes Abwasser Grünflächen, Parks oder offene Wasserläufe. Es kann zudem als Bewässerung für die Nahrungsmittelproduktion durch „Urban Gardening“ und „Farming“ dienen oder abgesenkte Grundwasserleiter wieder künstlich anreichern. „Zusätzlich kann die Wärme aus dem Abwasser genutzt werden – zum Heizen von Gebäuden, sogar von Treibhäusern oder zur Einspeisung ins Wärmenetz”, sagt Martina Winker, die am ISOE den Forschungsschwerpunkt Wasserinfrastrukturen und Risikoanalysen leitet.
Integrierte Stadt- und Infrastrukturplanung
Die Gestaltung einer klimagerechten Stadt bedarf einer integrierten Stadtentwicklung und Infrastrukturplanung. Elf Gründe, die nach Meinung der verantwortlichen Wissenschaftler dafür sprechen:
Unter dem Aspekt des Klimawandels sind Städte neu zu bewerten. Die natürlichen Ressourcen Luft, Boden, Wasser, Grünflächen und Landschaftselemente bilden die eigentliche Grundlage für eine klimagerechte, nachhaltige Stadt und sind bei ihrer Klimaanpassung ausreichend zu berücksichtigen. Das gilt ähnlich auch für eine Erhöhung ihrer Resilienz, das heißt, der Pufferfähigkeit ihrer wichtigen Funktionen. Handeln, das sich ausschließlich auf eine Ökologisierung der Stadt bezieht, ist zumeist kein gangbarer Weg zu einer Verbesserung der Klimaresilienz, schon weil Boden, Wasser und Grün knappe Güter sind.
Eng verschränkt mit sich ergebenden Anpassungsmaßnahmen an die Folgen des Klimawandels sind soziale Prozesse und Dynamiken. Vor allen Dingen sozialer Zusammenhalt, Umgang mit Gemeingütern, Konfliktregulierung und Stadt als soziales Gemeinwesen erfordern spezifische nachhaltige Stadt- und Raumstrukturen, die ausgehandelt und verhandelt werden müssen. Urbaner Umgang mit dem Klimawandel kann und sollte mit der Veränderung sozialer Verhältnisse verknüpft sein.
Gegenwärtig wird stark in Fachdisziplinen gedacht und gehandelt: Eine daraus resultierende einseitige Ökologisierung oder Ökonomisierung der Stadt optimiert Einzelsektoren. So laufen zum Beispiel Stadtsanierung, Denkmalschutz und energetische Sanierung als eigene Entwicklungslinien getrennt voneinander ab. Dies führt häufig zu suboptimalen Ergebnissen für das Gesamtsystem Stadt.
Die klimagerechte Stadt erfordert vernetztes Denken, um adaptive Systeme zu erzeugen. Hier sind die sozialen Prozesse und Dynamiken auf die ökologischen Grundlagen abzustimmen, so dass neuartige Wirkungen erzielt werden. Graue, grüne und blaue Infrastruktur (technische Leitungen und Trassen, Stadtgrün und Gewässer) sollten nicht länger unabhängig betrachtet werden; sie lassen sich miteinander verbinden und optimieren. In ihrer Synergie werden sie vielfachen sozio-ökonomischen, aber auch ökologischen Funktionen gerecht. So lassen sich die Resilienz und zugleich die Anpassungsfähigkeit der Stadt an Veränderungen erhöhen. Hierbei ist die Unterscheidung verschiedener räumlicher und zeitlicher Skalen von Bedeutung.
Die Kopplung von Wasser, Energie und Ernährung findet außerhalb von internationalen Wettbewerben und Zukunftsvisionen im Kontext „Green City“ in der städteplanerischen Praxis kaum Beachtung. Die Stadt und die dort vorhandenen (Ab-)Wasser- und Energieressourcen als Chance wahrzunehmen, erlaubt es, aktiv zu entscheiden, wo Lebensmittel produziert und konsumiert werden: Wo von außen versorgt und wo autochthon produziert oder beides kombiniert wird. Hier bedarf es sowohl sozialer Aushandlungsprozesse in der Planung und Umsetzung als auch der Umsetzungsforschung, um langfristig funktionierende Handlungsalternativen entwickeln, erproben und (wo sinnvoll) in der Fläche umsetzen zu können.
Marode Infrastrukturen bleiben unter Erhöhung der Betriebskosten ein wachsender Kostenfaktor und führen zu einer Verschlechterung der Leistung sowie hohen Folgekosten durch Unterbrechungen, Betriebsausfälle etc. Hier ist es vernünftig, Geld nicht nur zum Erhalt der Funktionsfähigkeit zu investieren, sondern dabei Transformationsprozesse zu verfolgen, die die Chance einer Erhöhung der Klimagerechtigkeit ermöglichen.
In vielen Städten und Kommunen bestehen erhebliche Unsicherheiten bezüglich des kommunalen Wertebestandes. Es fehlt vielerorts noch an konsolidierten Bilanzen unter Einbeziehung der Infrastrukturen. Es gibt keinen transparenten Überblick der langfristigen Gesamtkostendynamik. Daher ist es den Kommunen nicht ausreichend möglich, Erneuerungsbedarf und Transformationsmöglichkeit ihrer Infrastrukturen ökonomisch zu beurteilen. Wenn die Städte über ihr Vermögen und die Erhaltungskosten besser Bescheid wüssten, wären ein zielgerichtetes Handeln und ein strategisches Investitionsmanagement hin zur Klimagerechtigkeit möglich. Heute koordiniert in die urbanen Infrastrukturen zu investieren, bedeutet nicht nur, Antworten für den Klimaschutz zu finden, sondern gegebenenfalls auf lange Sicht auch Geld zu sparen und sogar Gewinne zu erzielen.
Klimaresilienz, Lebensqualität und Nachhaltigkeit der Stadt stehen mit der Erneuerung und potentiellen Transformation der Infrastruktur in engem Zusammenhang, wenn es zu einer klugen Vernetzung grauer, grüner und blauer Infrastruktur kommt. Das Gestaltungspotential ist immens: Einerseits können zum Beispiel Niederschlags- und adäquat gereinigtes Abwasser für Grünflächen (Parks, Beschattung/Kühlzonen) und offene Wasserläufe zur Nahrungsmittelproduktion (Urban gardening und farming) sowie zur Sicherung von Ökosystemleistungen genutzt werden und andererseits Schutz vor Auswirkungen des Klimawandels (längere Trockenperioden und Hitzewellen, Intensivniederschläge und Überschwemmungen) bieten.
Städte und ihre Quartiere unterliegen einem stetigen Wandel, der sich in teils widersprechenden Entwicklungen ausdrückt. Einige Quartiere, aber auch Freiflächen und Landschaftselemente enthalten Innovationskerne, sogenannte „Climate Improvement Islands“. Wer sein Planungshandeln daran orientiert, hat die Gesamtstadt vor Augen, plant jedoch zunächst von der Mikro- und Mesoseite her.
Eine integrierte Stadtplanung, die mehr Resilienz und Nachhaltigkeit erreichen möchte, sollte zugleich die gesamte Stadtregion unter verschiedenen raumzeitlichen Skalen betrachten: Wo und wie sind die einzelnen Stoff-, Energie-, Informationsströme zu koppeln; wo und wie sozial, aber auch räumlich zu situieren; wo und wie sind hierzu gesellschaftliche Aushandlungsprozesse zu führen? Für diese Planungsprozesse braucht es auf städtischer Seite zusätzliche Kapazitäten in der Umwelt- und Bauleitplanung. Neben der analytisch-planerischen Arbeit ist somit die Beteiligung der Akteure und Bewohner der Stadt für den Austausch und die Erzeugung von besserem Wissen als auch die transparente Entscheidungsfindung und Aushandlung relevant. Die Balance von Bürgerinteressen und Investorenwünschen ist über die Governancestruktur (z.B. städtebauliche Verträge) abzusichern. Urbane Labore, die Stadtplanung im Zusammenwirken vieler Akteure ermöglichen, sind systematisch zu fördern, um über Systeminnovationen zu gesamtstädtisch resilienten Raumstrukturen zu gelangen.
In der klimagerechten Stadt kommen Ästhetik, Bedürfnis nach der Verwirklichung eigener Lebensstile und Lebensqualität mit der Transformation der Infrastrukturen zusammen. Die Stadt kann nicht als individuelles Projekt begriffen werden, sondern in ihr treffen verschiedene Bedürfnisse, Sichtweisen und Disziplinen aufeinander. Durch den gemeinsamen Austausch kann Transformationswissen erzeugt werden, welches den Weg in Richtung einer klimagerechten Stadt ermöglicht. Insbesondere in Städten und urbanen Regionen mit Bevölkerungszuwachs entsteht häufig ein Interessenkonflikt zur Nutzung von noch bestehenden Freiflächen. Während Investoren und Entscheider häufig für Nachverdichtung votieren, ist den Bewohnern der Erhalt grüner Inseln sehr wichtig. Durch eine multifunktionale Vernetzung der einzelnen Bereiche entstehen neue Denk- und Möglichkeitsräume für die Integration technisch funktionaler mit ästhetischen Lösungen.
Fazit
Die klimagerechte Stadt ist eine große Herausforderung für die Politik und die Zivilgesellschaft. Sie lässt sich dann zukunftssicher gestalten, wenn der Forschungs- und Umsetzungsbedarf rechtzeitig erkannt wird. Höhere Resilienz und Adaptivität kann nur durch integriertes Planen von Klimagerechtigkeit, Ressourcen und Energie erreicht werden. Wasser als Lebenselement, Transport- und Gestaltungsmedium übernimmt hierin eine Vermittlerrolle. Daher sollte das Thema der klimagerechten Stadt synergetisch geweitet in die zentralen Förderprogramme eingehen, sowohl in der Forschung als auch im Städte- und Wohnungsbau, fordern die Experten.
Memorandum als Aufruf
Mit einem Memorandum zum Forschungs- und Umsetzungsbedarf machen die Wissenschaftler nun auf ihr Anliegen aufmerksam. Dabei richten sie sich nicht nur an Vertreter der Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik. Vielmehr möchten sie auch die verschiedenen Fachverbände, kommunalen Spitzenverbände und Fachgesellschaften für die Anforderungen einer klimagerechten Stadt der Zukunft sensibilisieren und sie auffordern, in einen Austausch zu treten.
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