Man versteht die Welt nicht, wenn man 1 und 1 zusammenzählen kann?

Freitag, 04.08.2017

In der „Frankfurter Sonntagszeitung“ lederte vor ein paar Tagen der „Start-up-Pionier“ Christoph Gerlinger über eine gewisse „german angst“ ab, wenn es um die Zurückhaltung beim Invest in Risiko-Start-Ups wie Lieferheld und Co. geht.

Also jene „unternehmerischen Tech-Pionierleistungen“ (Zitat), die lediglich mit einer vermeintlich ge**** Idee, mit millionenschwerem Wagnis-Kapital im Rücken und dem Internet als entscheidender (und meist einziger) Betriebsbasis erst schlagzeilenträchtig auf dem Markt aufschlagen, dann an die Börse gehen, über Jahre immer wieder Finanzspritzen brauchen – und irgendwann außer dem papierenen Buchwert der Aktien vielleicht tatsächlich mal etwas an Substanz gewinnen. Wobei die Betonung auf „vielleicht“ liegt… Start-ups also, die es in vergleichbarer Form auch in unserer Branche gibt, weswegen das Ganze hier überhaupt ein Thema ist…

Aber zurück zu Gerlinger: Weil die breite Masse – inklusive Börsenzeitung und Wirtschaftswoche – dieses gigantische Geschäftsmodell einfach nicht verstehen will, steht für den gelernten Bankkaufmann fest, dass wir „das Thema Tech nicht verstehen und mit unserer Miesepeterei die Zukunft verspielen“. Kurz: „Es ist zum Heulen!“ Wow, was für ein Statement!

Jetzt kann man über Geschäftsgründungen und Geschäftsmodelle denkbar unterschiedlicher Meinung sein. Wenn man sich aber, wie Herr Gerlinger, gerne mit der traditionsreichen Airline Lufthansa oder der Krupp´schen Gussstahlfabrik vergleicht, dann muss man sich auch an den gleichen Maßstäben messen lassen. Und die sind, beispielsweise aus Sicht des eher traditionellen SHK-Handwerks, das sehr gut 1 und 1 zusammenzählen kann, schnell benannt: Seriosität, Solidität, Rentabilität und Nachhaltigkeit gehören auf jeden Fall dazu. Und schon nach diesen vier Stichworten wird die Luft bereits dünn – für das Start-up.

Denn was zum Beispiel ein Geselle im Heizungsbau verdient, wissen wir alle. Was ein prekär beschäftigter Pizza-Auslieferungsfahrer bei minus 5 °C auf dem Fahrrad im nächtlichen Berlin bekommt, möchten wir hingegen lieber gar nicht wissen – so wenig ist es. Ob er kranken- und rentenversichert ist? Wohl genauso wenig wie die Uber-Fahrer… Seriosität sieht damit anders aus. Solidität auch. Doch rentabel mag es sein, für eine Weile, für die Betreiber des Start-ups... Aber nachhaltig?

Und schon gar nicht möchte man von der gesellschaftlichen Verantwortung sprechen, die – im Gegensatz zu vielen der wortgewaltigen Start-up-Heros! – von SHK-Unternehmern in ihrem lokalen Sprengel tagtäglich auf vielfältigste Art und Weise wahrgenommen wird. Initiativen zur Eingliederung von Flüchtlingen gehört genauso dazu wie das regelmäßige Ausbildungsengagement auch bei „schwierigen“ jungen Leuten oder die Unterstützung lokaler Sportvereine, um nur einige wenige Beispiel zu nennen.

Darüber mag und kann man mit Dollar-Zeichen in den Augen grinsend hinweggehen, wenn man über die legendären Wachstumsraten solcher Start-ups fabuliert oder über den unglaublichen „Wagemut“ der Finanziers, die reell betrachtet eigentlich nur Hasardeure sind. Gesellschaftliche – und damit auch unternehmerische! – Verantwortung aber, die sieht ganz anders aus. Und dann lacht man auch nicht über den, der den Pizzateig ausrollt – während das Start-up nur durch das Ausliefern schon 20 Prozent verdient. Sondern man macht sich vielleicht irgendwann einfach mal klar, dass man selbst eigentlich ganz am Ende der Nahrungskette steht – und ohne den Pizzabäcker, dessen „quattro stagioni“ man zum Kunden bringt, nichts weniger ist als ein weiteres erlöschendes Licht am dunklen Himmel des weltumspannenden Finanzfirmaments …

Von Eckhard Martin
Chefredaktion SanitärJournal
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