Wegen eines mysteriösen Lochfraßes in neuen Trinkwasserinstallationen sieht sich der Fachverband SHK NRW zurzeit gezwungen, für die Region Dorsten in Westfalen beziehungsweise für das Versorgungsgebiet des Wasserwerks Dorsten-Holsterhausen vor der Installation von Kupferrohren zu warnen. Die Ursachen ließen sich bisher nicht ermitteln.
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Kupferkorrosion: Ein Verdacht
Suche nach der Ursache der Rohrdurchbrüche um Dorsten
Donnerstag, 30.07.2015
Da jedoch das Rohr zum Wasser und nicht das Wasser zum Rohr passen muss, bleibt die Schadensbeseitigung zunächst beim Installateur hängen. Wie sieht die derzeitige rechtliche und korrosionstechnische Situation aus?
Mittlerweile befinden sich fünf Firmen in gerichtlichen Auseinandersetzungen und gegen drei der Handwerksfirmen hat das Landgericht bereits entschieden. Der Werkvertrag nimmt auch eindeutig den Handwerker in die Pflicht, wenn die Schäden innerhalb des Gewährleistungszeitraums auftreten. Nur er, der Betrieb, steht in einem Vertragsverhältnis zum Auftraggeber. Seine Leistung hatte einen Mangel, und da nunmal der Auftragnehmer den Erfolg schuldet, muss er den Mangel beseitigen - und zwar auf seine Kosten. Es sei denn, ein Vorlieferant hätte untaugliches Material geliefert. Nach allen vorgenommenen Analysen entsprechen jedoch der Werkstoff und das Wasser den Richtlinien. Also, so die Sichtweise der Gerichte, könne es nur an einer mangelhaften Ausführung der Handwerker liegen.
Ein Hilferuf
Konkret: „Aus bisher nicht bekannten Gründen kommt es zu Kupferrohrleitungsschäden in den Kaltwasserleitungen von Neubaumaßnahmen. Diese Objekte befinden sich ausschließlich im Wasserversorgungsgebiet der RWW, Mülheim/Ruhr, und werden vom Wasserwerk Dorsten-Holsterhausen mit Trinkwasser versorgt“, schreibt die Firma H. Grefer GmbH, Dorsten, an die Redaktion. Weiter heißt es in dem Brief: „Überwiegend sind Neubauten ab dem Jahr 2005 von diesen Schäden betroffen. Mittlerweile sind über 500 Rohrleitungsschäden aufgetreten, die alleine uns bekannt sind. Die Schäden treten nicht direkt nach der Installation auf, sondern erst nach zwei bis vier Jahren. Da sie nicht sofort entdeckt werden, weil die Rohrleitungen in den Wänden und in den Fußbodenaufbauten liegen, kann über einen längeren Zeitraum Wasser austreten…“ und der Schaden oftmals einen sechsstelligen Euro-Bereich betragen.
Der Fachverband SHK NRW hat im Juli 2014 für dieses Versorgungsgebiet die Empfehlung herausgegeben, kein Kupferrohr mehr in Trinkwasserleitungen einzubauen. In einer Mitteilung, auch an die Presse, hatte er damals diese Maßnahme begründet: „Priorität hat für uns der Schutz der Innungsfachbetriebe. Gerade weil die Ursache der Schäden nicht bekannt ist, war die Empfehlung zum Materialeinsatz für dieses konkrete Gebiet im Interesse unserer Mitglieder nötig und aus unserer Sicht ohne Alternative“, so Rechtsanwalt Peter Schlüter, Geschäftsführer Recht des Fachverbands.
Das Schadensbild deckt sich nicht mit dem der bekannten Lochkorrosion des Typs 1, die in Kaltwasser auftritt, mit im wesentlichen halbkugelförmigen Mulden, oder der Lochkorrosion von Typ 2 in Warmwassernetzen mit einer unregelmäßigen, aber eng begrenzten Geometrie und mit Kupfer(I)-oxid gehüllten Ausbrechungen. Ebenfalls handelt es sich augenscheinlich nicht um die seltene Form des Typs 3 der mikrobiologisch induzierten Lochkorrosion (MIC).
Damals in Hellersen
Bei MIC nagt sich eine Mikrobiologie durch den Werkstoff. Diese Ursache setzt also eine mikrobiologische Besiedlung voraus, die im Dorstener Gebiet jedoch auf den Rohren fehlt. MIC machte erstmals in Deutschland in den 90er-Jahren mit dem Fall „Lüdenscheid-Hellersen“ auf sich aufmerksam. Das Kreiskrankenhaus in Hellersen litt unter diesen Attacken so sehr, dass man schließlich das gesamte Leitungsnetz demontierte und durch Kunststoffleitungen ersetzte. Man fand kein Rezept gegen MIC.
Hat Dorsten-Holsterhausen für die Installationstechnik und für die Werkstoffkundler nun eine ähnliche Bedeutung wie Lüdenscheid-Hellersen? Trägt ein bisher unbekannter Chemismus Schuld an den Rohrschäden dort? Und kann von einer Ausnahme ausgegangen werden, die sich aufgrund von ganz bestimmten Konstellationen vermutlich auf Dorsten beschränken, also andere Versorgungsgebiete nicht befallen wird? Sichtet man das Bündel von Theorie, Fakten und Meinungen und vermuteten Kausalitäten und wertet es aus, scheint das Schadensbild doch nicht so ganz unbekannt zu sein. Man schließe es deshalb besser auch in anderen Versorgungsgebieten nicht aus.
Nochmal zurück zum Kreiskrankenhaus Lüdenscheid-Hellersen. Man fand zwar kein Rezept gegen MIC – aber die vermutliche Ursache: Das Oberflächen-Talsperrenwasser für Lüdenscheid kennzeichnet ein hoher TOC-Gehalt, also ein hoher Gehalt an organisch-chemischen Substanzen. Dieses nahrungsreiche Wasser verweilte eine längere Zeit, nämlich zwischen Einbau und relativ später Inbetriebnahme, im vorgeschalteten Sandfilter des Krankenhaus-Rohrnetzes. Die infiltrierte Mikrobiologie im Filter erhielt so reichlich Futter, konnte sich folglich in bisher nicht bekanntem Maße hochkonzentrieren. Mit der Inbetriebnahme schwemmte sie das Wasser in die Leitungen und das Übel MIC brach aus.
Mehrere Einflussfaktoren
Die Nahrungskette lebte also von den drei Einflussfaktoren hoher TOC-Wert des örtlichen Talsperrenwassers, ein Sandfilter mit (anfänglich moderater) Mikrobiologie als bequemen Brutherd, sowie einer ausreichend langen Brutzeit aufgrund von Verzögerungen in der Fertigstellung des Gebäudes. Ähnlichkeiten zu Holsterhausen zwingen sich da nicht unbedingt auf, schon alleine deshalb nicht, weil es sich im Dorstener Raum nicht um MIC handelt. Allerdings dürften auch im neuen Problemgebiet mehrere Faktoren zusammenkommen:
Fakt 1 scheint zu sein, dass das Wasser in Holsterhausen früher, sagen wir vor dem Jahr 2000, keine Korrosionsschäden verursacht hat. ‚Scheint’ soll sagen, dass das Gebiet zumindest nicht auffällig und das Wasser nicht kritisch war.
Fakt 2 sind Schäden an senkrechten Rohren. Die hatte es in der Vergangenheit in der Häufung nicht gegeben.
Fakt 3 ist ein relativ schneller Ablauf, meist innerhalb von zwei Jahren.
Fakt 4 ist das Nicht-Vorhandensein der üblichen Aggressoren. In den 70er- und 80er-Jahren machten überschüssige Kohlenstofffilme von sich reden, die das Rohr perforierten. Dann überschüssige Weichlötflussmittel. Beide Schadstoffe für die Patinabildung konnten nicht nachgewiesen werden
Fakt 5: In der Region Gladbeck – Dorsten – Bottrop – Münster häuften sich Schäden von Lochfraß unbekannter Herkunft an ausschließlich halbharten Kupferrohren.
Fakt 6 ist die Einführung halbharter Rohre im Jahr 2000.
Fakt 7: Das Wasser, der Rohrwerkstoff und die Betriebsbedingungen bewegen sich im Schadensgebiet in den Parametern innerhalb der zugelassenen Einsatzgrenzen, wie die Gutachter bescheinigen.
Fakt 8: Die Gutachter konnten keine nicht-fachgerechte Verarbeitung durch die Installationsunternehmen nachweisen. Maximal stellten sie Vermutungen auf. Die Verarbeitung dürfte ohnehin wenig mit den Schäden zu tun haben, da sich die Korrosionsstellen mehrheitlich auf Flächen außerhalb der Verbindungen verteilen.
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