Angesichts der Energiekrise werden energiesparende Baumaßnahmen massiv gefördert, während die Barrierefreiheit im Badezimmer ein wenig stiefmütterlich behandelt wird. Bei dem allgemeinen Run auf den Heizungsmarkt könnten Wachstumspotentiale bei der Badsanierung an der Branche vorbei realisiert werden, warnt RA Jens J. Wischmann, Geschäftsführer der Vereinigung Deutsche Sanitärwirtschaft. Im Sommer-Interview rät er Regierungsverantwortlichen, aber auch dem Handwerk, nachhaltig zu handeln:
Im Interview: Jens J. Wischmann, Geschäftsführer der Vereinigung Deutsche Sanitärwirtschaft
„Warme Wohnung oder barrierefreies Bad dürfen kein Entweder-Oder sein.“
Donnerstag, 20.10.2022
Herr Wischmann, nach vielem Hin und Her endlich freigegeben, ist der Fördertopf für den barrierefreien Badumbau für dieses Jahr schon wieder leer. Was ist das für ein Signal? „Es ist uns doch allen klar und verständlich, dass die zur Verfügung stehenden staatlichen Mittel zur Förderung von Maßnahmen im Wohnungsbau begrenzt sind und angesichts der aktuellen Probleme fokussiert werden müssen. Die Regierung muss Prioritäten setzen – und augenscheinlich ist das Thema Energie gerade besonders wichtig.“
Bleibt das Thema „Barrierefrei“ also auf der Strecke? „So tragisch das im Einzelfall wie auch für die Gesamtentwicklung ist: Es sieht fast danach aus. Die von uns geforderte Aufstockung der Mittel ist derzeit jedenfalls nicht in Sicht. Aber wir kämpfen dafür, dass das nur eine vorübergehende Entwicklung ist. Aktionismus, wie wir ihn derzeit erleben, ist keine gute Zukunftsstrategie. Denn der Sanierungsbedarf im Badezimmer ist langfristig groß. Man kann in diesem Zusammenhang durchaus von einem Sanierungsstau sprechen. Der Bedarf an barrierefrei ausgestatteten Badezimmern nimmt mit der älter werdenden Bevölkerung stetig zu, und das Badezimmer ist nun mal ein Schlüssel zur Selbstständigkeit bis ins hohe Alter. Je länger wir im Badezimmer bei der alltäglichen Reinigungsroutine mit wenig oder im besten Fall sogar ganz ohne Unterstützung klarkommen, umso länger können wir in unseren eigenen vier Wänden bleiben. Das ist der klar formulierte Wunsch einer ganzen Gesellschaft und angesichts des Pflegenotstands auch ein sehr vernünftiger. Zynisch könnte man sagen, dass wir in Deutschland mit mehr modernen Heizungen zwar mollig warme Badezimmer haben werden, aber dafür weniger Bäder mit der notwendigen Ausstattung für eine Nutzung im hohen Alter. Das kann es ja nicht sein – da, wo wir Barrierefreiheit brauchen, müssen wir sie auch realisieren können. Warme Wohnung oder barrierefreies Bad dürfen langfristig kein Entweder-Oder sein.“
Welche Entwicklung erwarten Sie, wenn sich der Fokus der Förderung nicht ändert? „Das ist eine einfache Rechnung. Der Anteil der über 80-Jährigen in Deutschland lag laut Statista im Jahr 2021 bei 6,11 Millionen Menschen. Bis 2040 wächst die Anzahl auf acht Millionen. Dann ist etwa jeder zehnte Bundesbürger 80 Jahre oder älter. Ich möchte nicht schwarzsehen, aber wir haben als Gesellschaft nicht viele Optionen: Entweder wir forcieren dringlich den Bau von weiteren Betreuungseinrichtungen für ältere Menschen, oder wir sorgen dafür, dass wir möglichst lange in unseren Wohnungen autark leben können. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist der Verbleib im eigenen Heim eindeutig die bezahlbarere Lösung. Für alle! Vieles lässt sich im Alter organisieren: Ein warmes Essen, Lebensmittel oder Getränke können per Lieferservice kommen, und auch viele andere Dienstleistungen wie etwa der Friseur können als Hausbesuch organisiert werden. Aber selbst ein Pflegedienst ist auf eine mehr oder weniger barrierefreie Gestaltung des Badezimmers angewiesen. Die Selbstständigkeit bei der Körperreinigung ist ein Grundbedürfnis und gehört zu den intimsten täglichen Routinen. Dieses Grundbedürfnis zu gewährleisten hat auch etwas mit Respekt zu tun und ist eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung.“
Eine gemeinsame Verantwortung für die ältere Bevölkerung? Kritiker könnten einwenden, dass die Jungen mit der Klimakrise schon genug zu bewältigen haben … „Dem ist zu entgegnen, dass auch die Demografie eine Aufgabe ist, die uns alle betrifft. Übernehmen Bauherren und Bauherrinnen, die sich jetzt um eine barrierefreie Badausstattung kümmern, nicht vielmehr selbst Verantwortung, statt es ihren Kindern zu überlassen? Im Übrigen ist der Bedarf nach Barrierefreiheit nicht zwingend mit dem Alter eines Menschen assoziiert – auch Jugendliche können sich mal ein Bein brechen und haben dann Schwierigkeiten, in eine als Dusche genutzte Badewanne zu steigen, und es gibt viele Menschen, die nach einem Unfall oder aus gesundheitlichen Gründen mit einem vorübergehenden oder dauerhaften Handicap umgehen müssen. Ich denke zudem, dass es praxisfremd ist, bei Barrierefreiheit immer nur an ein Badezimmer nach DIN-Norm zu denken. Nur wenige Menschen brauchen ein DIN-konformes Bad, aber sehr viele werden irgendwann in ihrem Leben ein Bad mit mehr Bewegungsfreiheit und Komfort, aber mit weniger Hindernissen benötigen.“
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