Trinkwasser ist nicht steril...
Einfluss der Strömungsverhältnisse auf die hygienische Qualität des Trinkwassers
Donnerstag, 27.10.2022
...sondern enthält auch bei Erfüllung aller gesetzlichen Anforderungen in allen Stufen von der Gewinnung bis zur Verteilung an den Nutzer eine Vielzahl von Mikroorganismen, die in der Regel für den Menschen ungefährlich sind. Aber auch fakultative, opportunistische Krankheitserreger wie Legionellen, atypische Mykobakterien (NTM), Pseudomonas aeruginosa und eine wachsende Zahl weiterer Bakterien finden speziell im Lebensraum der Trinkwasserinstallation in Gebäuden optimale Lebens- und Vermehrungsbedingungen sowohl im Warm- als auch im Kaltwasser.
Eine Kombination aus schlechter Werkstoffqualität, Stagnation bzw. träger Durchströmung, Wasserbeschaffenheit und zu niedriger Warmwasser- bzw. zu hoher Kaltwassertemperatur kann zu starker Biofilm-Entwicklung führen, in dessen Schutz sich auch fakultative Krankheitserreger vermehren können.
Hygieneanforderungen an Strömungsverhältnisse
Die Hydraulik der Trinkwasseranlage beeinflusst zwar nicht in erster Linie die Arten-Zusammensetzung der Biofilme oder des Mikrobioms, hat aber einen entscheidenden Einfluss auf die mechanische Stabilität der biologischen Aggregate. EPS (Schleim) bietet Schutz und eine gewisse physikalische Stabilität gegenüber Scherkräften. Bei Stagnation oder geringen Fließgeschwindigkeiten des Trinkwassers erfolgt das Wachstum sehr unregelmäßig mit Bildung von Poren und Kanälen und Stoffgradienten mit der Folge geringer mechanischer Stabilität und der Gefahr der Freisetzung bakteriell stark besiedelter Biofilmfragmente.
Bei hohen konstanten Scherkräften wird der Biofilm in seiner Mächtigkeit begrenzt und wächst sehr kompakt und fest auf den Grenzflächen, was ein Abreißen zum Beispiel bei Druckstößen stark erschwert.
Im Sinne einer optimalen Betriebsführung sind hohe Strömungsgeschwindigkeiten bzw. hohe Scherkräfte anzustreben, da dadurch ein unkontrolliertes Abreißen von Biofilmbestandteilen, die mit fakultativen Mikroorganismen besiedelt sein können, stark reduziert und dadurch eine Übertragung auf den Verbraucher mit der Gefahr einer Krankheitsauslösung vermindert wird. Ein weiterer Faktor ist die Beeinflussung der Kommunikation der Bakterien untereinander durch Botenstoffe (Quorum sensing), die durch einen forcierten Wasseraustausch/höhere Fließgeschwindigkeiten möglicherweise so beeinflusst wird, dass Signale zum Aufbau eines Biofilms abgeschwächt werden [1].
Technische Zielsetzungen
Damit die Vermehrung von Bakterien, insbesondere von Krankheitserregern, in Trinkwasserinstallationen nicht unzulässig gefördert wird, gelten zunächst die allgemein bekannten Grundsätze, dass das erwärmte Trinkwasser über Temperaturen > 55 °C und das kalte Trinkwasser über Temperaturen möglichst unter 25 °C – besser unter 20 °C – verfügen muss (Bild 1). Weniger geläufig ist dagegen die Anforderung, dass sich bereits bei bestimmungsgemäßem Betrieb überwiegend Strömungsverhältnisse einstellen müssen, die in allen Teilstrecken einer Trinkwasserinstallation zu möglichst hohen Scherkräften an den Rohrwandungen führen. Rohrnetze der Trinkwasserinstallation müssen daher so aufgebaut und dimensioniert werden, dass sich bereits bei Einzelentnahmen – und nicht nur bei Spitzendurchflüssen – eine vollturbulente Durchströmung in möglichst vielen Teilstrecken des Rohrnetzes einstellt (Bild 1). Nur bei derartigen Betriebsverhältnissen kann gegebenenfalls die Mächtigkeit eines Biofilms aktiv begrenzt und dessen mechanische Stabilität dauerhaft sichergestellt werden.
Die Scherkräfte, die im Strömungsfall an den Rohrwandungen angreifen, resultieren aus dem Schubspannungswiderstand (Reibungswiderstand) des an der Rohroberfläche anhaftenden Wassers. Die Größe dieser Kraft hängt unter anderem von den Strömungsverhältnissen ab; insbesondere, ob eine Strömung laminar oder turbulent ist. Turbulente Strömungen vergrößern die Wandschubspannung, laminare Strömungen verringern sie. In technischen Berechnungen wird die sogenannte Reynoldszahl verwendet, um rechnerisch feststellen zu können, ob eine laminare oder turbulente Strömung vorliegt. Je größer der Durchfluss in einer Rohrleitung wird – und damit auch die Fließgeschwindigkeit –, desto größer wird auch die Reynoldszahl. Versuche haben ergeben, dass in kreisrunden Rohren der Umschlag von einer laminaren in eine turbulente Strömung bei einer Reynoldszahl von Rekrit = 2320 stattfindet [2]. Mit dem Übergang von einer laminaren in eine turbulente Strömung verdoppelt sich in etwa der Druckverlust sprunghaft. Die Scherkräfte, die an der Rohrwandung wirksam werden, nehmen mit der Reynoldszahl zu.
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