Schutzgüter und funktionale Anforderungen
Neben den bauordnungsrechtlichen Anforderungen gibt es weitere Schutzgüter, die zu beachten sind. Diese können etwa im Bereich der Anlagen liegen, da diese möglicherweise nicht schnell ersetzt werden können und es dadurch zu Betriebsunterbrechungen mit möglicherweise irreparablen wirtschaftlichen Schäden kommen kann.
Weiterhin können es auch Themenfelder wie der Umwelt- und Kulturgüterschutz oder auch immaterielle Aspekte, wie der Schutz der Reputation inkl. der Kreditwürdigkeit relevante Schutzgüter sein.
Von zunehmender Bedeutung ist auch der störungsfreie Betrieb insbesondere von kritischer Infrastruktur, für die eine Betriebseinschränkung oder -unterbrechung nicht akzeptabel ist. Um diese Anforderungen zu erfüllen muss im Regelfall ein spezielles Konzept entwickelt werden, wie ein Weiterbetrieb auch in verschiedenen Fällen einer Havarie möglich ist oder der Betrieb zum Beispiel durch Ausweichen auf alternative Standorte beziehungsweise Anlagen möglich ist. Bezüglich dieser Fälle ist eine beliebige Komplexität möglich.
Die zu beachtenden Schutzgüter und die daraus folgenden funktionalen Anforderungen sind jeweils objektspezifisch von den verantwortlichen Personen festzulegen und mit entsprechenden Leistungskriterien zu versehen.
Gerade von Seiten der Versicherungswirtschaft werden für gewerbliche Bauwerke häufig erhebliche zusätzlich Maßnahmen verlangt, um das auf sie im Rahmen der Risikoüberwälzung übertragene finanzielle Risiko zu mindern. Als Beispiel sei hier die Komplextrennung größerer Anlagen genannt.6
Hier vermischen sich objektbezogene Anforderungen mit den Interessen eines Externen, in diesem Fall eines Versicherers. Eine solche Situation ist aber auch hinsichtlich des Nachbarschutzes und des Umweltschutzes zu erkennen.
Soll-Ist-Abgleich für alternative Maßnahmen
Wie bereits gesagt, stellen die Schutzziele das „Idealziel“ dar. Aus dem zweistufigen System mit abstrakten Schutzzielen und einer indirekten Konkretisierung über die präskriptive Festlegung von Maßnahmen und Leistungskriterien in den Bauordnungen folgt, dass bei abweichenden Maßnahmen deren Gleichwertigkeit in sicherheitstechnischer Hinsicht zu gewährleisten ist.
Das deutsche Bauordnungsrecht kennt, wie bereits dargestellt, keine explizite Festlegung eines Grenzrisikos oder sogar von konkreten Sicherheitsbeiwerten für Gebäude und Nutzungen.7 Daher besteht insbesondere bei der Suche nach alternativen Lösungen immer ein Ermessensspielraum, welches Sicherheitsniveau erforderlich ist und ob dieses erreicht wird.
Ein Soll-Ist-Abgleich erfordert daher eine je nach konkreter Anforderung unterschiedliche tiefgreifende Analyse. Da die normativen Vorgaben zumindest nur oberflächlich, wenn überhaupt, vorhanden sind, ist eine sachverständige Beurteilung notwendig.
Eine solche Begründung muss schriftlich niedergelegt und durch eine fundierte Argumentation nachvollziehbar sein. Dies ist insbesondere aufgrund der Tatsache wichtig, dass sowohl die Auslegung der Schutzziele und der funktionalen Anforderungen als auch die Festlegung der Leistungskriterien stark von einer sachkundigen Einschätzung abhängt.
So wie es teilweise praktiziert wird, dass in Brandschutzkonzepten nur die Aussage getroffen wird, dass die Schutzziele eingehalten werden, zeugt nicht von einer adäquaten Auseinandersetzung mit diesem Themenfeld.
Ganzheitlicher Ansatz der Schutzziele
Das System der Schutzziele und der daraus abgeleiteten funktionalen Anforderungen ist als ganzheitlicher Ansatz aufgebaut, da es nicht auf einzelne Aspekte des vorbeugenden und ggf. auch des abwehrenden Brandschutzes abstellt. Stattdessen wird es den Verantwortlichen freigestellt, wie die einzelnen Schutzziele erreicht werden.
Das Konzept der Schutzziele gibt dem sachkundigen Planer eine große Freiheit hinsichtlich der Festlegung von Zielen und Maßnahmen. In vielen Fällen wird es in der Praxis ausreichen, die Vorgaben der Bauordnung und ggf. anwendbarer Sonderbauvorschriften umzusetzen und gegebenenfalls bestehende Abweichungstatbestände zu begründen. In anderen Fällen kann es notwendig sein, mittels Ingenieurmethoden die Einhaltung von Schutzzielen und daraus abgeleiteten Anforderungen nachzuweisen.
Eine Ingenieurmethode ist allerdings bereits die qualifizierte Analyse einer Situation und die anschließende Entwicklung einer Lösung unter Zuhilfenahme von ingenieurwissenschaftlichen Methoden und Wissen. Ingenieurmethoden fangen nicht erst bei der Anwendung komplexer Simulationsverfahren an. Diese haben zweifellos ihre Begründung, aber aufgrund des mit ihnen verbundenen Aufwandes ist ihre Anwendung nicht immer angezeigt.
Die Zielerreichung ist zwar nur im Rahmen des Bauantragsverfahrens nachzuweisen, doch ist eine intensive Auseinandersetzung mit diesem Themenkomplex wichtig, um ein sinnvolles Maß an Sicherheit zu gewährleisten und zugleich eine wirtschaftliche Planung sicher zu stellen. Wird diese Auseinandersetzung frühzeitig und mit hinreichender Intensität geführt, kann das Ergebnis im weiteren Verlauf der Planung als Begründung für einzelne Maßnahmen und ggf. auch Abweichungen bzw. Erleichterungen herangezogen werden.
Anmerkungen:
1 BVerfGE 69, 315, Rd. 78 (sog. Brockdorf Entscheidung)
2 Verordnung (EU) Nr. 305/2011 des Europäischen Parlamentes und Rates vom 9.3.2011.
3 Richtlinie 89/106/EWG des Rates vom 21.12.1988.
4 Leitfaden Ingenieurmethoden des Brandschutzes vfdb TB 04-01 (2020-03), S. 28.
5 § 7 Abs. 3 GefStoffV; TRGS 600.
6 VdS 2234 – Brand- und Komplextrennwände; 2018-01.
7 Leitfaden Ingenieurmethoden des Brandschutzes vfdb TB 04-01 (2020-03), S. 34.