Wärme plus Strom plus Mobilität als Zukunftsmodell für die Wohnungswirtschaft

Im Interview: Eckhard Martin mit Professor Timo Leukefeld

Wenn jemand in einer Försterei groß geworden ist, dann Heizungsbauer gelernt hat und anschließend in die Forschung und Lehre gegangen ist – dann sollte er eine außergewöhnlich umfassende Sicht der Dinge haben. Und Professor Dipl.-Ing. Timo Leukefeld hat sie tatsächlich, wenn man mit ihm über die Zukunft des Bauens im Allgemeinen spricht, beispielsweise. Oder über intelligente ressourcenschonende Energiegewinnung und -nutzung im Speziellen, die zu neuen Geschäftsmodellen für die Wohnungswirtschaft führt.

Aus der Kindheit in der Försterei in die Professur, in die Leitung der Projektgruppe „Das EnergieAutarkeHaus“, auf Regierungsebene in die Position des „Energiebotschafters“ – was haben Sie tatsächlich mitgebracht von damals, was Sie heute noch prägt?

Mitgebracht habe ich auf jeden Fall ein ganz praktisches Verständnis für nachhaltige Lösungen. Der Begriff Nachhaltigkeit an sich ist ja schon eng mit dem Forst verwoben, durch den Freiberger Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz, der den Gedanken der Nachhaltigkeit auf die Waldwirtschaft übertrug. Und da ich selbst ebenfalls aus Freiberg komme, hat mich dieser Ansatz eigentlich schon von Kindheit an begleitet.

Was heißt das aber für Sie konkret, auf die Praxis übertragen?

Auf mein Fachgebiet „energetisches Wohnen“ bezogen heißt das selbstverständlich, dass wir möglichst schnell zu ­einem völlig neuen Verständnis im Umgang mit den endlichen Energieressourcen und den dazu vorhandenen Strukturen kommen und Alternativen zum Umstieg auf eine Vollversorgung durch regenerative Energien entwickeln müssen.

Die Formulierung vom vollstän­digen Umstieg auf „Erneuerbare“ wird gerade von Regierungsseite wie ein Mantra ständig wiederholt. Ihre vorgesetzte Ergänzung zu den „endlichen Ressourcen und den dazu vorhandenen Strukturen“ gibt dem Ganzen aber einen interessanten Beiklang…

Die vorgeschaltete Ergänzung ist meines Erachtens unverzichtbar, weil realistisch betrachtet das eine ohne das andere gar nicht geht. Nehmen wir zum Beispiel die Beheizung von Wohnraum. Die erfolgt zu etwa 50 Prozent durch Gasheizungen. Diese Anlagen stillzulegen, um zu 100 Prozent nur noch über regenerative Ener­gien – wie Strom aus PV und Windkraft – zu heizen, ist ökologisch wie ökonomisch weder sinnvoll noch machbar. Wieso nutzen wir also nicht die vorhandene Gas-Infrastruktur weiterhin wie gehabt, aber gleichzeitig als immenser bestehender Puffer für Power-to-Gas-Erträge, gewonnen aus nur temporär oder saisonal zur Verfügung stehenden regenerativen Energiequellen?

Eine gute Frage; also: Warum nicht?

Meines Erachtens fehlt sowohl im poli­tischen Raum wie bei den wesentlichen Playern im Energiemarkt aktuell noch ein ganzheitlicher Blickwinkel. Auch, weil der Wärmebedarf zwar 50 Prozent des Gesamtenergiebedarfs ausmacht, der Wärmemarkt im Gegensatz zu Strom und Mobilität aber keine entsprechende Lobby hat. Wenn es uns aber nicht gelingt, diese drei Positionen adäquat miteinander zu verknüpfen, wird auch die Energiewende scheitern.

Am einfachsten, sollte man meinen, könnte diese angesprochene Verknüpfung in der freien Marktwirtschaft über den Faktor „Wirtschaftlichkeit“ vorangetrieben werden.

Stimmt! Deswegen habe ich zum Beispiel ein energieautarkes Haus gebaut, das sich selbst mit Wärme, Strom und E-Mobilität aus der Sonne versorgt. Es verknüpft diese drei Bereiche intelligent. Wenn ich dieses Modell, das nachweislich ganzjährig funktioniert, jetzt auf die Wohnungswirtschaft als wesentlichen Mitspieler in der Energiewende am Wärmemarkt übertrage, komme ich zu ganz neuen Geschäftsmodellen, von ­denen die Wohnungsgesellschaften genauso wie deren Mieter profitieren.

Wie sieht ein solches Modell im Detail aus?

Es sieht so aus, dass im ersten Schritt der Energiebedarf, also Wärme und Strom ­eines Objektes, generell möglichst weit gedrückt wird. Das ist schon Praxis, über die gedämmte Bauweise. Im zweiten wird beispielsweise über eine PV-Anlage so viel eigene Energie erzeugt und in Strom- und Wärmespeichern vor Ort ­gepuffert, dass die konventionellen Wärmeerzeuger wie Gasheizgeräte nur noch zu seltenen Spitzenlastzeiten in Betrieb gehen. Der Wärmespeicherung kommt also ein entscheidender Stellenwert zu. Dieser hybride Betrieb ist insgesamt überaus ressourcenschonend und wirtschaftlich, selbst wenn der überschüssige PV-Strom vergleichsweise ineffizient vor Ort „nur“ zu Speicherwärme umgewandelt wird. Alternativ steht der Strom für E-Mobilität zur Verfügung oder er wird direkt in die Nachbarschaft vermarktet und stärkt so wiederum die Wirtschaftlichkeit – Ökologie und Ökonomie ­werden hier also fast schon exemplarisch zusammengeführt.

Warum aber sollten sich die Unternehmen der Wohnungswirtschaft mit solchen doch eher komplexen Modellen auseinandersetzen, wenn die bewährte Aufgabenteilung aus Bereitstellung von Wohnraum hier, Bereitstellung von Strom und Wärme durch externe Versorger da noch so gut funktioniert?

Weil es sich bei diesem Modell um ein Auslaufmodell handelt! Begründen lässt sich das durch einen Blick auf die gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen: Der Kostenanteil, den die Menschen für Wärme und Strom sowie Mobilität aufwenden müssen, steigt überproportional. Gleichzeitig sprechen wir hier aber inklusive des Wohnens über Grundbedürfnisse, die abgedeckt werden müssen. Und das von einem zunehmenden Teil an Menschen, die im Ruhestand von der Rente, also wesentlich weniger finanzieller freier Spitze leben müssen. Was liegt also näher, als ihnen ein Gesamtpaket anzubieten, das komfortables Wohnen mit Mobilität aus einer Hand hoch effizient und damit sehr wirtschaftlich verknüpft?

Wie sähe das im Detail aus?

Der Mieter bekommt das Rundum-Sorglos-Paket aus Wohnen inklusive Strom, Wärme und E-Mobilität zu einem vorher definierten, eindeutigen Preis als Pauschalmiete mit Energieflatrate. Der liegt, zeigen Muster­berechnungen und erste Erfahrungen in entsprechenden Objekten, in aller Regel zwar mit Ausnahme der Mobilität ein wenig über der Summe der Einzelpreise durch verschiedene Anbieter.

Der Investor bzw. der Vermieter bietet dem Mieter jedoch eine viel bessere Qualität an mit dem Rundum-Sorglos-Paket, und er bietet diesen Preis ja für mindestens 10 Jahre fest an ohne Preissteigerung. Die Mieter sind für bessere Qualität und die Planungssicherheit gerne bereit, etwas mehr zu zahlen. Dieses mehr an Einnahmen ist wiederum die bessere Rendite für den Vermieter. Es gibt außerdem keine Rechtsstreitigkeiten mehr wegen Betriebskostenabrechnungen. Gleichzeitig wird die Mieterbindung gestärkt.

Da gibt es aber noch ein paar gesetzliche und steuerliche Hürden, beim Direktverkauf des selbst erzeugten Stroms bzw. der Wärme an die Mieter.

Ja, solche gesetzlichen Rahmenbedingungen sind sicherlich problematisch. Aber es gibt für das Problem genauso Lösungen. Wenn Energie, also Wärme und Strom, als dem Wohnen und dem Wohnkomfort zugehörig betrachtet wird, kann eine großzügig, für den Durchschnittshaushalt mehr als ausreichend definierte Strom- und Wärmemenge zum Beispiel als ein in die Miete inkludiertes Geschenk betrachtet werden. Das ist nicht verhandelbar. Wer mehr Strom benötigt, hat aber gleichzeitig weiterhin die freie Wahl des Anbieters und kann diesen Mehr-Strom dann direkt beziehen.

Führt das aber nicht zu Verschwendung von Energie durch das Individuum?

Es ist ein Irrtum zu glauben, Menschen wären von Natur aus Energiesparer. Die Menschen möchten gut und komfortabel leben; das ist die Praxis. Mit dem Rundum-Sorglos-Paket geben die Unternehmen der Wohnungswirtschaft ihnen diese Möglichkeit, denn durch die Energie sparende Bauweise sowie die nahezu verlustfreie Energiegewinnung und -nutzung vor Ort erreichen wir trotz eines sorgloseren Umgangs mit Energie einen Gesamteffizienzgrad, der weit über allen realistisch möglichen Einsparbestrebungen liegt – und das ohne Komfortverlust für den Einzelnen.

Den Energieversorgern würde ein solches Direktvermarktungsmodell im Übrigen aber wohl wenig Freude machen…

Ganz im Gegenteil, denn die suchen aktuell doch ebenfalls nach neuen Geschäftsmodellen. Eines davon kann es sein, dass von den heutigen Energieversorgern die Technik für diese energieautarke Versorgung einzelner Objekte oder kompletter Quartiere entwickelt und umgesetzt wird. Außerdem könnten sie über Contractingmodelle profitieren, mit denen diese neuen Prozesse letztlich gehandelt und abgerechnet werden.

Herr Professor Leukefeld, ich bedanke mich für dieses interessante Gespräch mit seinen bemerkenswert ­„realvisionären“ Ansätzen, wie die Energiewende doch noch gelingen kann!

Dienstag, 28.02.2017