Das Thema Trinkwasser steht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit wie selten zuvor.
Das Thema Trinkwasser steht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit wie selten zuvor.
Die Auswirkungen des Klimawandels wurden in Europa und weltweit selten so direkt und bedrohlich erfahren wie im Sommer 2023. Dürre in vielen Gebieten, Starkregen in anderen, Wetterkapriolen und -katastrophen bei unseren Nachbarn sowie das offenbare Schwinden der Grundwasserressourcen beunruhigen die Menschen immer mehr. Die historisch gewachsene unerschütterliche Gewissheit, im Hinblick auf Qualität und Sicherheit der Trinkwasserversorgung, ist ins Wanken geraten. Kein Wunder, dass sich aktuell Medien und Gesellschaft sehr stark auf diese Problemlagen fokussieren. Auch die Politik hat sich davon nicht unbeeindruckt gezeigt. Es wird versucht, den Forderungen der deutschen Wasserversorgern Rechnung zu tragen. Diskutiert werden Möglichkeiten, durch neue Normen, aber auch durch den Abbau von Überregulierungen bzw. Verschlankungen von Genehmigungsverfahren, die Wasserversorgung sicher für die Zukunft zu gestalten.
Viele Rahmenbedingungen unterstützen diese Bemühungen. Wir befinden uns gerade in der Mitte der auf der 66. Generalversammlung der Vereinten Nationen (VN) beschlossenen UN-Dekade des Wassers. Sie findet vom 22. März 2018 bis zum 22. März 2028 statt und verfolgt im Wesentlichen zwei Ziele: „Verbesserung der Wissensverbreitung zum Thema Wasser und Gewässerschutz, einschließlich Informationen zu wasserbezogenen SDGs (Sustainable Development Goals, den Nachhaltigkeitszielen der 2030-Agenda für Nachhaltige Entwicklung)“ und „Stärkung der Kommunikationsmaßnahmen zur Umsetzung der wasserbezogenen Ziele.“
In Deutschland wurde unter anderem in der Erarbeitung der Nationalen Wasserstrategie Rechnung getragen. Die zentralen Ziele der Nationalen Wasserstrategie sind:
Das bezieht selbstredend die Trinkwassersicherheit in öffentlichen Gebäuden und insbesondere im HealthCare-Bereich ein beziehungsweise sollte alle Fragestellungen rund um die möglichen Qualitätsbeeinträchtigungen des Trinkwassers innerhalb von Trinkwasserinstallationen betreffen.
Wenn man sich die Nationale Wasserstrategie vom 15. März 2023 (Kabinettsbeschluss) durchliest, dann fällt auf, dass auf den 120 Seiten der Begriff „Trinkwasserhygiene“ nur genau einmal (!) fällt. Das Thema braucht dringend eine stärkere Thematisierung in der öffentlichen Diskussion und – trotz aller Krisen der letzten Jahre – eine höhere Priorität in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Partner für Wasser (PfW) haben in den letzten sechs Jahren eine ganze Reihe von Studien durchgeführt, die erheblichen Handlungsbedarf auf vielen Ebenen und Bereichen belegen.
Trinkwasser erfährt in Deutschland eine hohe Wertschätzung. Das hat die allgemeine Bevölkerungsumfrage der Partner für Wasser (2021, veröffentlicht 2022) eindrucksvoll belegt. Aber auch für die Politik, so eine Befragung der Mandatsträger und Mandatsträgerinnen aus dem vergangenen Jahr, hat sie einen hohen Stellenwert. Politik und Gesellschaft fühlen sich im Prinzip „sehr gut“ oder „gut“ über ihre Trinkwasserversorgung informiert. So zumindest antworten mehr als zwei Drittel der Befragten in diesen Studien. Auch die Sensibilisierung für die prinzipielle Bedeutung der Qualität und Sicherheit der Wasserversorgung in Deutschland ist den Befragten in der Bevölkerung wie in der Politik klar. Und das Thema Trinkwasserhygiene war mit über 94 Prozent in der Bevölkerungsumfrage und bei den politischen Mandatsträgern und Mandatsträgerinnen sogar mit fast 97 Prozent „sehr wichtig“ oder „wichtig“.
Thematisch wird die Trinkwasserhygiene allerdings vor allem im Zusammenhang mit Folgen des Klimawandels, den industriellen und landwirtschaftlichen Einträgen ins Grundwasser und der teilweise veralteten Infrastruktur der öffentlichen Wasserversorgung gesehen. Letzteres ist zumindest in Deutschland derzeit kein akutes Thema. Es sind eher die Trinkwasserinstallationen in den Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten, Krankenhäusern oder der Pflege. Das bedeutet: Als zentrales „HealthCare-Thema“ ist die Trinkwasserhygiene eher nur bei der Minderheit der Befragten präsent.
Der Handlungsbedarf ist groß. In einer Befragung von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtung (2016) zeigte eine andere Studie der Partner für Wasser aus Ende 2016, dass:
Die finanziellen Möglichkeiten für Investitionen sind seitdem eher noch deutlich schlechter geworden. Eine Analyse der Deutschen Krankenhausgesellschaft zeigt die weiterhin abnehmende Investitionsmöglichkeiten im Krankenhausbereich.
Nicht verwunderlich sind folglich Umfrageergebnisse, die zeigen, dass sich mehr als zwei Drittel der Krankenhäuser für nicht ausreichend investitionsfähig halten. Diese Situation ist in den letzten drei Jahren durch die Covid-Pandemie, die Energiekrise und die enorme Preissteigerung durch die allgemeine Inflation noch einmal deutlich verschärft worden. Schon 2016 zeigte sich bei einem Drittel der von PfW befragten Einrichtungen Probleme mit Legionellen oder E.coli. Im Durchschnitt 3,6 Fälle je betroffener Einrichtung. Bei den Krankenhäusern lag der Durchschnitt mit vier Fällen je Einrichtung mit solchen Problemlagen deutlich höher als bei den Alten- und Pflegeheimen mit 2,7 Fällen je Einrichtung. Dabei zeigte sich ein deutlicher Zusammenhang mit dem Alter der Trinkwasseranlage: Bei Einrichtungen mit einem Anlagenalter von unter zehn Jahren zeigten sich 1,3 Fällen je Einrichtung. War die Anlage 50 Jahre und älter, gab es 5,8 Fälle je betroffener Einrichtung.
Wir verfügen heute über zahlreiche technische Möglichkeiten, die Trinkwasserhygiene erheblich zu steigern. Aber das erfordert Investitionen und erheblich höhere Erneuerungsraten bei der Infrastruktur.
Noch kritischer sind die Befunde im Bereich von Schulen und Kindergärten. Über ein Drittel der 2017 befragten Einrichtungen (N=829) kann keine Angaben zum Alter der Trinkwasseranlage machen. Fast 40 Prozent der Schulen und Kindergärten hat eine Anlage, die älter als 25 Jahre ist und jede sechste Trinkwasseranlage ist über 50 Jahre alt. Lässt man die Einrichtungen hier außer Betracht, die keine Angaben machen konnten oder wollten, ist sogar mehr als jede 4. Trinkwasseranlage 50 Jahre und älter.
Das sind umso kritischere Befunde, da nur etwa jede siebte Einrichtung Sanierungsarbeiten innerhalb der letzten zehn Jahre angeben konnte. Ein Großteil der angegeben Erneuerungen bezog sich dabei auf Anlagen die jünger als 25 Jahre waren. Also gerade im Altbestand eine völlig unzureichende Erneuerungsrate. Dazu wurde an gerade einmal 17 Prozent der befragten Einrichtungen eine regelmäßige Kontrolle durchgeführt (höchstens alle 2 Jahre). Audits gaben nur zehn der 829 befragten Einrichtungen an. Die Ursachen sind hier vor allem die völlig unzureichende Finanzierung der Kommunen und Trägerorganisationen. Investitionsstaus haben sich aufgrund der durchweg problematischen Haushaltssituation und den oft unzureichenden Landeszuschüssen gebildet. Dazu kommen noch bürokratische Hürden und eine problematische Personaldecke.
Das vorhandene Problembewusstsein scheitert an unzureichenden Investitionsmöglichkeiten. Auch hier muss konstatiert werden, dass die Probleme in den letzten fünf Jahren eher größer geworden sind. Während und jetzt nach der Covidkrise mussten insbesondere Investitionen in ganz andere Bereiche wie zum Beispiel Digitalisierung der Schulen umgeleitet werden. Die Studie zeigte aber auch, dass es an grundlegenden Informationen über Risiken im Bereich Trinkwasserhygiene und Vermeidungsmöglichkeiten mit Blick auf die Technik fehlt. Viele aktuelle technische Lösungen sind in den Schulen und bei den für die Trinkwasserhygiene Verantwortlichen oft gar nicht bekannt. Hinzu kommt eine fehlende funktionierende Kommunikationsstruktur im Krisenfall. Probenentnahmen und deren Ergebnisse wurden sehr oft nicht mit den Schulleitungen besprochen; kritische Vorfälle nicht oder nur sehr verzögert an die Schulen zurückgemeldet.
Probleme in der Kommunikation beziehungsweise konkret bei der Unterstützung durch staatliche beziehungsweise fachbezogene Institutionen zeigt auch die Studie der Partner für Wasser aus dem Jahr 2019. Hier wurden zahnärztliche Praxen und Kliniken zum Thema „Trinkwasserhygiene“ befragt.
Abgesehen von den medizinischen Fachgesellschaften und den zuständigen Wasserversorgern fühlten sich die befragten Einrichtungen (N=429) zu weniger als einem Viertel mit der themenspezifischen Unterstützung zufrieden. Oder deutlicher: Über 75 Prozent der Befragten konnten hier zu keinem positiven Ergebnis kommen! Hier sind sicherlich erneut die begrenzten finanziellen Mittel eine Ursache. Aber es wird ein weiteres Mal deutlich, dass der Fokus auf das Thema „Trinkwasserhygiene“ im HealthCare-Bereich noch erheblich gestärkt werden muss.
Dass deutliche Mängel im Hinblick auf die Trinkwasserhygiene den Bürgern nicht verborgen bleiben, zeigt wiederum die Partner für Wasser-Studie aus dem Jahr 2021. Beim Thema Trinkwasserhygiene in der öffentlichen Wahrnehmung nannten fast 50 Prozent der Befragten Mängel im öffentlichen Nahverkehr und über 30 Prozent im Bereich Schule/Universität/Kindergarten. Ihrem Arbeitsplatz sahen 7 Prozent diesbezüglich kritisch und immerhin 4 Prozent identifizierten den Krankenhausbereich.
Was schlussfolgern wir daraus? Dass wir bisher erhebliches Glück hatten und nicht mehr Krankheitsfälle durch Hygienemängel hervorgerufen wurden? Oder ist das Glück eher eine Frage der Perspektive, nämlich wann und wo Erkrankungen beziehungsweise deren Ursachen festgestellt und zugeordnet werden? In jedem Fall sollte die Hygienepraxis im HealthCare-Bereich stärker dem Bewusstsein folgen. Nicht zur Verfügung stehende Finanzen können kaum ein Argument sein, wenn man sich mal die Folgekosten von gravierenden Erkrankungen anschaut. Aber neben einer betriebswirtschaftlichen Betrachtung sollten vor allem die gesundheitlichen Folgen von Betroffenen ein Argument sein. Unsere Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, also wir alle sollten hier selbstkritisch bekennen: Das können wir besser! Das Bewusstsein und die technischen Möglichkeiten sind definitiv vorhanden.
Mittwoch, 17.04.2024