Die DVGW-Zertifizierung eines Installationssystems für Trinkwasser basiert
üblicherweise auf Baumuster-Prüfungen z.B. nach DVGW-Arbeitsblatt W 534,
die durch ein akkreditiertes Prüfinstitut durchgeführt werden. Was macht
aber ein Hersteller einer Produktinnovation, für die es – auch mit Blick auf
Europa – noch keine passende Prüfnorm gibt? Und worauf sollten dann
Fachplaner bzgl. neuer Produkteigenschaften und deren Leistungsbeschreibungen
achten?
Zertifizierung von Bauprodukten für Trinkwasser
Rohrleitungssysteme für Trinkwasser-Installationen sind konstruktiv so auszulegen, dass sie den Anforderungen nach DIN EN 806-2 über eine Betriebsdauer von 50 Jahren bei einem Druck von min. 1 MPa standhalten (siehe Bild 1).
Dabei kommen - neben den zu erwartenden mechanischen Kräften (z. B. infolge Druck, Zug, Wärmedehnung, Torsion) - insbesondere den Werkstoffen eine hohe Bedeutung zu. Denn die Systemkomponenten sollen im späteren Betrieb einerseits keine Korrosionsschäden erleiden und dürfen andererseits die Trinkwasserqualität gemäß Trinkwasserverordnung durch Werkstoffmigration nicht beeinträchtigen.
Aufgrund dieser Vielfalt an Qualitätskriterien von Rohrleitungssystemen, die oft Jahrzehnte lang unzugänglich unter Putz / Estrich betrieben werden, vertrauen hier Fachplaner wie Installateure auf etablierte Zertifizierungsverfahren wie die der DVGW Cert GmbH. Dies ist auch das jüngste Ergebnis einer repräsentativen Marktumfrage, die vom VDMA[1] beauftragt wurde. Insbesondere bei Produkten „hinter der Wand“ war eine DVGW-Zertifizierung für fast 100 % aller Befragten wichtig bis sehr wichtig (Bild 2). Im Gegensatz zur CE-Deklaration bestätigt das DVGW-Label nämlich von herstellerneutraler Seite die Übereinstimmung des Produktes mit benannten einschlägigen Regelwerken und damit bei Verwendung entsprechender Bauteile die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik. Vergleichbare nationale Zertifizierungssysteme gibt es auch in vielen Nachbarländern, wie beispielsweise die der KIWA in den Niederlanden.
Nationale Zertifizierungen sind für die Hersteller allerdings aufwändig, weil ein Produkt in jedem EU-Land separat zertifiziert werden muss. Für innovative Produkte fehlen allerdings i. d. R. anerkannte Prüfverfahren. Deren Entwicklung kostet Zeit, so dass sich die wirtschaftlich gesehen wichtige Markteinführung dadurch beachtlich verzögern kann. Ein Beispiel ist die Produktinnovation „Raxinox“ von Viega.
Produktinnovation „Raxinox“
„Raxinox“ ist ein Metallverbundrohr-System, bestehend aus einem dünnwandigen aber dennoch drucktragenden Edelstahlrohr, umgeben mit einem Außenmantel aus PE-RT. Es ist derzeit in den Abmessungen 16 x 2,2 und 20 x 2,8 mm, mit oder ohne Schutzrohr oder vorgedämmt nach EnEV und DIN 1988-200, erhältlich. Dieses erste praxistaugliche „Edelstahl-Installationsrohr von der Rolle“ wird sekundenschnell – vorwiegend als Stockwerksverteilung in Vorwand- / Trockenbauinstallationen - mit einem Sortiment aus Form- und Verbindungsteilen (aus Edelstahl mit Stützkörpern aus PPSU[2]) raxial verpresst. Neben strömungsoptimierten Bögen und T-Stücken erlauben Doppelwandscheiben auch die Installation von Ring- und Reihenleitungen, die den Wasseraustausch und so den Erhalt der Trinkwassergüte begünstigen.
Für den Hersteller wäre es natürlich zeit- und kostensparend, ein solches System direkt europaweit zertifizieren zu lassen. Dann wäre die Planungs- und Verarbeitungssicherheit und damit die Normenkonformität durch ein einheitliches Prüfprogramm mit entsprechender Dokumentation über alle Ländergrenzen innerhalb der EU hinweg auf einen Schlag gegeben.
Blick nach Europa
Die Harmonisierung der Regelwerke für Bauprodukte im Kontakt mit Trinkwasser lässt aber nach wie vor auf sich warten. Unter dem Stichwort „One test, one standard, accepted everywhere in Europe” bemühen sich Normungsexperten bereits seit geraumer Zeit, die Prüf- und Zertifizierungsregeln in Europa zu vereinheitlichen – bislang leider nur mit geringem Erfolg.
Für jedes Land muss ein Hersteller eines Bauprodukts für Trinkwasser nach wie vor eine separate Zertifizierung beantragen und dafür häufig aufwendige Prüfungen gemäß den lokal geltenden Regularien durchführen lassen.
Was macht nun ein Hersteller wie Viega, der eine Produktinnovation wie „Raxinox“ möglichst zügig nach Erreichen der Serienreife vermarkten will? Zunächst wird er versuchen, auf Basis bestehender Regelwerke eine nationale Zertifizierung zu erreichen.
Im vorliegenden Fall war dies jedoch nicht möglich, weil bislang tatsächlich noch keine Prüfnorm für ein Edelstahlverbundrohr-System existierte und die Erarbeitung einer neuen Prüfgrundlage aufgrund neuer DIN/DVGW-Regularien zu langwierig schien. Gewählt wurde deshalb ein neuer Zertifizierungsweg (Bild 3), welcher für die mechanischen Anforderungen eine europäische Prüfgrundlage (EAD[3]) sowie nationale Eignungsnachweise für die Werkstoffe im Kontakt mit Trinkwasser inkl. Fremdüberwachung des Herstellers zusammenfasst.
Ein Weg, der im Rückblick betrachtet für „Raxinox“ weitaus aufwendiger als erwartet verlief. Beispiel Trinkwassereignung: Obwohl bei Rohren und Formteilen nur Edelstahl das Trinkwasser berührt, ließ es die gültige Bauproduktenverordnung noch nicht zu, auch die hygienischen Anforderungen einheitlich für Europa zu regeln. So erfolgten nur die mechanischen Baumusterprüfungen nach dem EAD 290001-00-0701 durch das MPA NRW[4], während die hygienischen Eignungsnachweise für Deutschland durch die DVGW Cert GmbH geprüft und bestätigt wurden. Der Zertifizierungsprozess gemäß Bild 3 dauerte schließlich 24 Monate – insbesondere aufgrund der bürokratischen Hürden, die die Abstimmung zwischen dem DIBt[5] und der Europäischen Kommission immer wieder verzögerten. Schließlich waren die Bemühungen aber doch erfolgreich, wie das Textbeispiel in Bild 6 zeigt: mit DVGW-Registriernummer plus zugehöriger CE-Leistungserklärung.
Konsequenzen für den Fachplaner
Mit der kombinierten Zertifizierung kann das innovative Rohrleitungssystem wie gewohnt in die Ausschreibungen übernommen und nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik in Trinkwasser-Installationen verwendet werden. Die Dokumentation ist mit dem entsprechenden Zertifikat über die DVGW-Reg.-Nr. sowie die dazu gehörige CE-Leistungserklärung des Herstellers downloadbar. Letztere war seitens Viega bislang nur für Bauprodukte erforderlich, die entsprechend einer harmonisierten europäischen Prüfnorm (z.B. EN 14055 für Spülkästen) gefertigt werden.
Eine herstellerneutrale Ausschreibung nach STLB ist derzeit allerdings noch nicht möglich, da als Voraussetzung dafür mindestens zwei vergleichbare Fabrikate am Markt verfügbar sein müssen – was dem Wesen einer echten Produktinnovation natürlich widerspricht. In der Regel ist es bis dahin aber möglich, nach Abstimmung des Fachplaners mit dem Bauherrn einen Freitext in Anlehnung an übliche STLB-Standards zu formulieren. Wichtig für das Fachhandwerk: bereits 2015 wurde das „Raxinox“-System in die Haftungsübernahmevereinbarung des ZVSHK[6] aufgenommen.
Fazit
Wer neue Wege - auch in Richtung Europa - einschlägt, muss sich auf Überraschungen einstellen. Das gilt auch für die Zertifizierung von Bauprodukten für Trinkwasser. Für das Viega „Raxinox“-System wurde dafür ein neuer Prozess, bestehend aus DVGW- und CE-Regularien gewählt, ohne das gewohnte Qualitätsniveau hinsichtlich der Langzeitsicherheit und Trinkwassertauglichkeit einzuschränken. Dafür wurden die Anforderungen für die mechanischen Prüfungen einheitlich für Europa definiert und darauf aufbauend die national gültigen Eignungsnachweise der Werkstoffe im Kontakt mit Trinkwasser inkl. der Fremdüberwachung des Herstellers durch die DVGW Cert GmbH zusammenführt. Fachplaner wie auch Installateure können damit auch bei der Produktinnovation „Raxinox“ auf das gewohnte Qualitäts- und Zertifizierungsniveau von Viega vertrauen und das System entsprechend ausschreiben bzw. installieren.
Fußnoten
- Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V., Frankfurt a. M.
- Polyphenylensulfon
- European Approval Document; hier EAD 290001-00-0701
- Materialprüfungsamt Nordrhein-Westfalen, Dortmund
- Deutsches Institut für Bautechnik, Berlin
- Zentralverband Sanitär Heizung Klima, St. Augustin