Als Mittelständler hat man es angesichts steigender Energiepreise, Fachkräftemangel und problematischer Lieferketten aktuell definitiv nicht leicht.
Im Gespräch: Kessel-Marketingleiter Reinhard Späth
Als Mittelständler hat man es angesichts steigender Energiepreise, Fachkräftemangel und problematischer Lieferketten aktuell definitiv nicht leicht.
Vor allem dann nicht, wenn man im Dreieck zwischen Nürnberg, Regensburg und München auch noch „Konkurrenten“ wie BMW, Audi oder diverse Medizintechnikhersteller hat, die ebenfalls massiv um die Gunst von High Potentials buhlen. Entwässerungsspezialist Kessel sieht die Zukunft trotzdem entspannt. Ein Gespräch ...
Der industrielle Mittelstand ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Heißt es. Und wird durch Fakten untermauert: Diese Unternehmen erwirtschaften die Hälfte der Nettowertschöpfung, und bieten mehr als 80 Prozent der Ausbildungsplätze an. Einer von ihnen: die Kessel AG in Lenting bei Ingolstadt. Also in Bayern. In der Branche ist der innovative Hersteller bekannt für qualitativ hochwertige Entwässerungslösungen – von der Ablauftechnik über den Rückstauschutz, von der Abscheidetechnik bis hin zur Pumpentechnik, um das Leistungsspektrum zumindest im Wesentlichen aufzuzeichnen.
Mit aktuell rund 750 Mitarbeitern liegt Kessel zwar über dem schulbuchmäßigen Raster „Mittelstand“ – aber weil über „die Zugehörigkeit zum Mittelstand neben quantitativen auch qualitative Faktoren“ entscheiden – „wie die Einheit von Eigentum und Leitung des Unternehmens, der langfristige Planungshorizont und die Bindung an den regionalen Standort, wie sie für Familienunternehmen charakteristisch sind“ (Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft, IW; Köln) – war Kessel-Marketingleiter Reinhard Späth für die Redaktion des SanitärJournals genau der richtige Ansprechpartner für die Frage: Wie steuert eigentlich ein namhafter Mittelständler eine starke Marke durch diese gerade für die Baubranche so turbulenten Zeiten? Schließlich hat das IW auch festgestellt: „Wegen ihrer geringen Größe stehen kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) in Deutschland oft anderen Herausforderungen gegenüber als Großunternehmen.“ Und von denen gibt es „nebenan“ genug, vor allem der Fahrzeughersteller Audi oder Conti Microelectronik; aber auch die Media-Saturn-Holding und unzählige innovative Automobilzulieferer ...
Herr Späth, im kommenden Jahr kann Kessel das 60-jährige Bestehen feiern. Wie stellt sich, angesichts des aktuell schwierigen Marktumfelds, so kurz vor dem großen Fest die wirtschaftliche Lage für Kessel dar? „Dass die Lage speziell in der Baubranche schwierig ist und jeder Blick voraus einer in die Glaskugel, muss man sicherlich nicht besonders herausstellen. Und natürlich merken auch wir die Schwierigkeiten auf dem Bau. Trotzdem lagen wir, dank eines Puffers aus dem 1. Halbjahr, mit dem Umsatz Ende 2022 noch voll im Plan und haben auch für 2023 wieder ein Plus eingeplant – aber relativ konservativ.“
Diese im positiven Wortsinn „konservative“ Herangehensweise hat sich in den vergangenen Jahrzehnten aber durchaus ausgezahlt ... „Das stimmt, denn seit Jahrzehnten wachsen wir kontinuierlich um durchschnittlich etwa 4 bis 5 Prozent. Heute machen wir 130 Millionen Euro Umsatz – und sind dank dieses gesunden organischen Wachstums auch in der Lage, regelmäßig Investitionen in unseren Standort aus eigener Kraft zu stemmen, wie jetzt in unser neues Bürogebäude in Lenting, das rechtzeitig zum Jubiläumsjahr bezogen wird.“
Kurz nachgehakt: Wie verteilen sich die 130 Millionen Euro denn in etwa auf die einzelnen Geschäftsfelder? „Der größte Anteil am Umsatz wird mittlerweile in dem Geschäftsfeld Pumpentechnik generiert; Hebeanlagen und Pumpstationen. Die Bereiche Ablauftechnik (also Badabläufe und Duschrinnen, Bodenabläufe, Kellerabläufe und Abläufe im Außenbereich), sowie die Abscheidetechnik und Lösungen zum Rückstauschutz sind in etwa gleich verteilt.“
Womit sich das Geschäft, auf die Kessel-Gründungszeit zurückblickend, stark gedreht hat ... „Ja, denn in der Tat ist Bernhard Kessel seinerzeit zwar mit Bad-, Keller- und Hofabläufen aus Kunststoff statt aus Gusseisen gestartet, dann aber schnell auf den Rückstauverschluss ‚Staufix‘ gekommen. Damit war das Geschäftsfeld ‚Entwässerung‘ gesetzt. Der Grundgedanke hinter diesen Innovationsschritten ist übrigens bis heute derselbe geblieben: Wir versuchen, bestehende Installationslösungen immer noch besser zu machen – und zwar bevorzugt aus Kunststoff oder dem Verbundwerkstoff Ecoguss, also besser: aus anwendungsgerechten Werkstoffen. Hier liegen auch unsere fertigungstechnischen Kernkompetenzen.“
Bestehende Installationslösungen setzt aber ein hohes Maß an Innovationskraft voraus. Woher nehmen Sie die? „Im ersten Schritt kommen die Innovationen im Grunde genommen immer von unseren Kunden: Wir hören und sehen ihnen im wahrsten Sinne des Wortes in ihrem Arbeitsalltag zu, nehmen ihre täglichen Herausforderungen auf der Baustelle auf und versuchen dann, mit unserer Entwicklungskompetenz dafür neue, bessere Lösungen zu schaffen. Das ‚besser‘ kann dann in der schnelleren und wirtschaftlichen Verarbeitung unserer Produkte liegen, aber auch – im Sinne der Nachhaltigkeit – in einer Schonung der Ressourcen, indem wir beispielsweise Produkte in der Herstellung materialsparender konstruieren. Übergeordneter Maßstab ist und bleibt dabei aber immer die Qualität unserer Produkte, denn wir verkaufen unseren Kunden Sicherheit überall da, wo Wasser fließt.“
Die Innovationskraft und die hohe Fertigungstiefe setzt aber immer eines voraus: hoch qualifizierte Fachkräfte. Wie schwierig ist es, in der Nachbarschaft renommierter Hersteller wie Audi diese Fachkräfte zu gewinnen? „Es ist schwierig, das steht außer Frage. Vor allem, weil wir mittelfristig die Entwicklungskapazitäten noch deutlich aufstocken wollen, also dringend kreative Techniker brauchen. Wir setzen hier unter anderem auf eine frühzeitige Zusammenarbeit mit den Hochschulen über Praktika, Werksstudententätigkeiten oder Unterstützung bei Abschlussarbeiten. Zudem spielen wir die Vorteile eines noch übersichtlichen Familienunternehmens mit einem entsprechenden Arbeitsklima aus, in dem noch jeder Einzelne zählt. Das macht uns seit Jahrzehnten zum sympathischen Arbeitgeber in unserer Region, bei dem man auch sehr gute Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten hat.“
Wenn Sie planmäßig die Kapazitäten im eigenen Haus ausbauen können, welche Entwicklungen sind denn dann auf der Marktseite zu erwarten? „Bezogen auf unsere Produktfelder wollen wir sicherlich primär im Segment Pumpentechnik überproportional wachsen, und zwar sowohl bei den Kleinhebeanlagen wie bei den Großanlagen, also den Pumpstationen zum Einbau ins Erdreich. Viel interessanter aber sind die Ziele, die wir uns inhaltlich gesetzt haben: eine verstärkte Digitalisierung und ein Ausbau unserer Serviceangebote. Denn beide Meta-Themen sind gleichzeitig eine Antwort auf den Fachkräftemangel, den nicht nur wir auf der Verarbeiterseite sehen.“
Was ist denn in Sachen Digitalisierung von Kessel zu erwarten? „Die Digitalisierung betrifft zum einen die Produktseite, Stichwort IoT, das Internet der Dinge. Hier arbeiten wir an intelligenten Lösungen, damit zum Beispiel Fettabscheider selbsttätig ihre Leerungszyklen erst identifizieren und dann melden können. Oder wir denken über die Aufrüstung unserer Pumpensysteme nach, um sie ‚smarter’ zu machen, von der Störungsmeldung bis zur Bereitstellung von Ersatzteilen. Der zweite Schwerpunkt der Digitalisierung liegt auf Services für Planer und Fachhandwerker. Stichworte sind hier ein Planerportal (s. Kasten), über das sich beispielsweise Investitionskosten frühzeitig abschätzen lassen, Auslegungstools, Planungsassistenten für Pumpentechnik und der Ausbau unserer BIM-Datenstämme. Etliche dieser originär digitalen Lösungen gehen also gleichzeitig fließend in den Ausbau unserer Services über, mit denen wir unseren Marktpartnern das Tagesgeschäft erleichtern.“
Ihre Marktpartner sind der Fachgroßhandel und das Fachhandwerk. Von interessierter Seite wird diese Dreistufigkeit aber immer wieder infrage gestellt. Was ist die Position von Kessel dazu? „Unsere Position ist hier eindeutig: Für uns steht die Dreistufigkeit außer Frage. Deswegen unternehmen wir auch große Anstrengungen, um insbesondere die Qualifikation des Fachhandwerks als unser Partner vor Ort weiter zu stärken. Dazu gehören fachspezifische Schulungen in unseren hoch modernen Kundenforen, dazu gehören detaillierte Schulungsvideos, und dazu gehören eigene Montageteams, die den Fachhandwerker optional direkt auf der Baustelle unterstützen. Dabei handelt es sich um circa 100 Partnerbetriebe in ganz Deutschland und Österreich, die in regelmäßigen Seminaren und Workshops speziell geschult werden. So sind sie stets auf dem aktuellen Stand der Technik, kennen die gesamte Produktpalette an Entwässerungslösungen – und sind eine weitere konkrete Antwort auf den Fachkräftemangel, den doch auch die Handwerksbetriebe vor Ort hautnah spüren. Alternativ kann der Fachhandwerker auf unsere Servicetechniker zurückgreifen, wenn zum Beispiel komplexere Pumpenanlagen in Betrieb genommen oder gewartet werden sollen. Und spätestens hier schließt sich der Kreis, denn über IoT-Pumpensysteme lassen sich solche Einsätze deutlich besser planen und bedarfsgerechter steuern – was im Übrigen wiederum auf nachhaltiges Handeln und Denken einzahlt!“
Nachhaltigkeit – ein Stichwort, das heutzutage sicherlich groß geschrieben wird, aber für einen gewachsenen Kunststoffspezialisten doch besonders herausfordernd sein dürfte? „Dieser Einschätzung kann man nicht widersprechen. Aber auch hier sind wir auf einem guten Weg, wie der zuvor schon gefallene Hinweis auf ,anwendungsgerechte Werkstoffe´ zeigt. Natürlich sind wir in erster Linie Kunststoff-Spezialisten. Aber wir wissen – bei allen Vorteilen – auch um die Verantwortung, die dieser Werkstoff mit sich bringt und forschen ebenso intensiv wie erfolgreich nach Möglichkeiten, seinen Einsatz zu verringern oder teilweise zu substituieren. Etliche Produkte aus der Entwässerungstechnik können beispielsweise so schon komplett aus Recyclaten hergestellt werden. Damit leisten wir einen messbaren Beitrag zu einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft. Bei anderen Produkten, die stärker belastet oder sicherheitsrelevant sind, steigern wir deswegen ebenfalls sukzessive den Anteil an aufbereiteten Kunststoffen, solange nicht unser hoher Qualitätsanspruch beeinträchtigt wird. Besondere Anstrengungen unternehmen wir außerdem beim Energieeinsatz in unserem Unternehmen. Das geschieht durch effizienter arbeitende, neue Maschinen genauso wie durch eine Umstellung von bisher gasbefeuerten Produktionsprozessen auf elektrische, die künftig mit ‚grünem‘ Strom betrieben werden sollen. Bis 2030 wollen wir auf diese Weise energieautark sein – das ist ein erklärtes Ziel.“
Herr Späth, herzlichen Dank für diesen tiefen Einblick in das Denken und Wirken eines Mittelständlers in dieser Zeit. Und angesichts der zahlreichen vielversprechenden Innovationsschritte, die schon jetzt besten Wünsche für die nächsten 60 Jahre Kessel!
Weiterführende Informationen: https://planer.kessel.de/
Mittwoch, 31.05.2023