Angesichts der Energiekrise werden energiesparende Baumaßnahmen massiv gefördert, während die Barrierefreiheit im Badezimmer ein wenig stiefmütterlich behandelt wird. Bei dem allgemeinen Run auf den Heizungsmarkt könnten Wachstumspotentiale bei der Badsanierung an der Branche vorbei realisiert werden, warnt RA Jens J. Wischmann,
Geschäftsführer der Vereinigung Deutsche Sanitärwirtschaft. Im Sommer-Interview rät er Regierungsverantwortlichen, aber auch dem Handwerk, nachhaltig zu handeln:
Herr Wischmann, nach vielem Hin und Her endlich freigegeben, ist der Fördertopf für den barrierefreien Badumbau für dieses Jahr schon wieder leer. Was ist das für ein Signal?
„Es ist uns doch allen klar und verständlich, dass die zur Verfügung stehenden staatlichen Mittel zur Förderung von Maßnahmen im Wohnungsbau begrenzt sind und angesichts der aktuellen Probleme fokussiert werden müssen. Die Regierung muss Prioritäten setzen – und augenscheinlich ist das Thema Energie gerade besonders wichtig.“
Bleibt das Thema „Barrierefrei“ also auf der Strecke?
„So tragisch das im Einzelfall wie auch für die Gesamtentwicklung ist: Es sieht fast danach aus. Die von uns geforderte Aufstockung der Mittel ist derzeit jedenfalls nicht in Sicht. Aber wir kämpfen dafür, dass das nur eine vorübergehende Entwicklung ist. Aktionismus, wie wir ihn derzeit erleben, ist keine gute Zukunftsstrategie. Denn der Sanierungsbedarf im Badezimmer ist langfristig groß. Man kann in diesem Zusammenhang durchaus von einem Sanierungsstau sprechen. Der Bedarf an barrierefrei ausgestatteten Badezimmern nimmt mit der älter werdenden Bevölkerung stetig zu, und das Badezimmer ist nun mal ein Schlüssel zur Selbstständigkeit bis ins hohe Alter. Je länger wir im Badezimmer bei der alltäglichen Reinigungsroutine mit wenig oder im besten Fall sogar ganz ohne Unterstützung klarkommen, umso länger können wir in unseren eigenen vier Wänden bleiben. Das ist der klar formulierte Wunsch einer ganzen Gesellschaft und angesichts des Pflegenotstands auch ein sehr vernünftiger. Zynisch könnte man sagen, dass wir in Deutschland mit mehr modernen Heizungen zwar mollig warme Badezimmer haben werden, aber dafür weniger Bäder mit der notwendigen Ausstattung für eine Nutzung im hohen Alter. Das kann es ja nicht sein – da, wo wir Barrierefreiheit brauchen, müssen wir sie auch realisieren können. Warme Wohnung oder barrierefreies Bad dürfen langfristig kein Entweder-Oder sein.“
Welche Entwicklung erwarten Sie, wenn sich der Fokus der Förderung nicht ändert?
„Das ist eine einfache Rechnung. Der Anteil der über 80-Jährigen in Deutschland lag laut Statista im Jahr 2021 bei 6,11 Millionen Menschen. Bis 2040 wächst die Anzahl auf acht Millionen. Dann ist etwa jeder zehnte Bundesbürger 80 Jahre oder älter. Ich möchte nicht schwarzsehen, aber wir haben als Gesellschaft nicht viele Optionen: Entweder wir forcieren dringlich den Bau von weiteren Betreuungseinrichtungen für ältere Menschen, oder wir sorgen dafür, dass wir möglichst lange in unseren Wohnungen autark leben können. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist der Verbleib im eigenen Heim eindeutig die bezahlbarere Lösung. Für alle! Vieles lässt sich im Alter organisieren: Ein warmes Essen, Lebensmittel oder Getränke können per Lieferservice kommen, und auch viele andere Dienstleistungen wie etwa der Friseur können als Hausbesuch organisiert werden. Aber selbst ein Pflegedienst ist auf eine mehr oder weniger barrierefreie Gestaltung des Badezimmers angewiesen. Die Selbstständigkeit bei der Körperreinigung ist ein Grundbedürfnis und gehört zu den intimsten täglichen Routinen. Dieses Grundbedürfnis zu gewährleisten hat auch etwas mit Respekt zu tun und ist eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung.“
Eine gemeinsame Verantwortung für die ältere Bevölkerung? Kritiker könnten einwenden, dass die Jungen mit der Klimakrise schon genug zu bewältigen haben …
„Dem ist zu entgegnen, dass auch die Demografie eine Aufgabe ist, die uns alle betrifft. Übernehmen Bauherren und Bauherrinnen, die sich jetzt um eine barrierefreie Badausstattung kümmern, nicht vielmehr selbst Verantwortung, statt es ihren Kindern zu überlassen? Im Übrigen ist der Bedarf nach Barrierefreiheit nicht zwingend mit dem Alter eines Menschen assoziiert – auch Jugendliche können sich mal ein Bein brechen und haben dann Schwierigkeiten, in eine als Dusche genutzte Badewanne zu steigen, und es gibt viele Menschen, die nach einem Unfall oder aus gesundheitlichen Gründen mit einem vorübergehenden oder dauerhaften Handicap umgehen müssen. Ich denke zudem, dass es praxisfremd ist, bei Barrierefreiheit immer nur an ein Badezimmer nach DIN-Norm zu denken. Nur wenige Menschen brauchen ein DIN-konformes Bad, aber sehr viele werden irgendwann in ihrem Leben ein Bad mit mehr Bewegungsfreiheit und Komfort, aber mit weniger Hindernissen benötigen.“
Woran denken Sie da?
„Wir müssen uns von der Vorstellung freimachen, dass jedes barrierefreie Bad zwingend mit dem Einbau eines mit Rollstuhl unterfahrbaren Waschtisches verknüpft ist. In der Breite viel sinnvoller sind modulare Badplanungen, die mit zunehmendem Alter eine Anpassung des Badezimmers an die unterschiedlichen Lebensphasen ermöglichen. Wer mit 65 Jahren zum Badplaner oder zur Badplanerin kommt, wird bei der Gestaltung seines vielleicht letzten Badezimmers bewusst auf besonderen Komfort achten. Dabei muss er aber nicht auf attraktive Lifestyle-Elemente verzichten: Eine intelligente Planung hält genügend Optionen offen, um ein Bad nach den Bedürfnissen der Bewohner zu verändern. Ziel sollte immer die möglichst lange Selbstständigkeit im Badezimmer sein. Das gilt für alle Bäder – für neue wie für solche im Bestand.“
Derzeit scheint das Badezimmer allerdings beim Handwerk nicht hoch im Kurs zu stehen; schließlich ist die Heizungssanierung oder die Neuausstattung mit Wärmepumpen einfacher zu skalieren und verspricht aktuell einen höheren Deckungsbeitrag.
„So einfach ist die Rechnung nicht, fürchte ich. Ich habe großen Respekt vor dem Fachwissen, das zu einer Heizungssanierung gehört. Und natürlich muss hier Dampf gemacht werden, und eine Info-Veranstaltung für 20 an Wärmepumpentechnik interessierte potenzielle Kunden ist effizienter als eine Kundenberatung für eine individuelle Badplanung. Und es stimmt auch: Die ohnehin begrenzten Personalressourcen in der SHK-Branche werden gerade zugunsten von Heizungssanierungen verlagert. Diese Schieflage wird uns aber in vielen Bereichen irgendwann einholen. Der Sanierungsstau bei den Badezimmern wird sich weiter vergrößern – und wir sprechen von einem Wachstumsmarkt! Denn nur 1,5 Prozent der Wohnungen in Deutschland sind altersgerecht. Bis 2035 werden einer von der KfW in Auftrag gegebenen Studie des Instituts für Wohnen und Umwelt (IWU)zufolge rund zwei Millionen altersgerechte Wohnungen fehlen. Dem KfW-Programm 455-B ‚Altersgerecht Umbauen‘ attestierte sie hohe Nachfragen und Verbesserungen im Wohnungsbestand. Ich sehe beim SHK-Handwerk definitiv die Kernkompetenz, diesen Umsatz zu realisieren – und nicht bei anderen Anbietern. Hier ist Kontinuität gefragt, schon aus Gründen der Nachwuchsförderung. Sonst schlägt die Goldgräberstimmung schnell in ein Goldfieber um, das manche nicht überleben könnten.“
Wie sieht es bei den Sanitärunternehmen denn mit den Lieferzeiten aus? Muss man hier, wie etwa bei den Wärmepumpen, auch mit bis zu acht Monaten rechnen?
„Nein, meiner Einschätzung nach ist die Liefersituation für Badezimmerprodukte vor der Wand durch aktuelle Krisen nur wenig eingeschränkt. Die Situation ist mit den Lieferengpässen im Heizungsbereich nicht zu vergleichen. ... Auch wenn dieses Tempo (Anm. d. Red.: von drei bis vier Tagen) für die vielen Tausend Produkte, die die deutsche Sanitärindustrie anbietet, kaum durchgehend machbar ist, belegt das Beispiel doch, dass Logistik und Schnelligkeit Kernkompetenzen unseres Vertriebsweges sind. In den acht Monaten, die Bauleute auf eine Wärmepumpe warten müssen, können die SHK-Betriebe viele Bäder planen und realisieren.“
Am Ende hängt eine Fertigstellung aber von jedem kleinen Teil ab. Und wenn nur eines fehlt?
„Ein Großteil des Sortiments, zum Beispiel Badmöbel, wird heute auftragsbezogen gefertigt. Dazu gibt es also klare Commitments hinsichtlich der Lieferbarkeit. Sanitärunternehmen unterscheiden hier zudem zwischen Schnellliefer-Sortimenten und ‚normalen‘ Sortimenten mit branchenüblichen Lieferzeiten. Großhandel und Handwerk wissen um diese Differenzierung und können die Badplanung individuell einschätzen: Auf welcher Baustelle muss es schnell gehen, und wo wird eine ganz bestimmte Kollektion, Vorwandinstallation, Armatur oder individuelle Sonderanfertigung benötigt, deren Lieferung vielleicht mehr Zeit braucht?“
Und dennoch wird die Organisation jeder Baumaßnahme angesichts fortgesetzter Störungen und Verteuerungen bei den
Lieferketten doch sicherlich auch für das Handwerk zu einer Herausforderung und daher immer aufwändiger. Wird es auch teurer?
„Natürlich kann sich die Sanitärbranche nicht von allgemeinen Kostenentwicklungstendenzen abkoppeln. Hierzu irgendwelche Prognosen zu machen ist aber nicht meine Aufgabe. Tatsache ist, dass nach meiner Beobachtung niemand in der Branche diese Entwicklung als Vorwand für höhere Gewinnrealisierungen ausnutzt. Alle Marktpartner sind auf eine gute Zusammenarbeit angewiesen. Ich glaube, dass sich in Krisensituationen die dreistufige Organisation der Fachbranche bewährt. Komplexe Prozesse zu planen und verlässliche Lieferstrukturen zu gewährleisten ist eine ihrer wichtigsten Kernkompetenzen. Am Ende sorgt dann das Handwerk dafür, dass alle Gewerke reibungslos ineinandergreifen und die Baumaßnahmen zügig abgeschlossen werden können. Kundenzufriedenheit ist für unsere Branche essenziell. Denn mal ehrlich: Wer will schon wochenlang ohne Badezimmer leben? Der heiße Sommer hat doch nun wirklich deutlich gemacht, welcher Luxus, aber auch, welches Grundbedürfnis ein wohltemperiertes Badezimmer und eine erfrischende Dusche sind!“