Bei der Abnahme muss ein Neubau normalerweise den anerkannten Regeln der Technik entsprechen. Was aber, wenn die sich während der Bauzeit geändert haben? Ein Urteil des BGH wirft Fragen auf. Und erhöht die Risiken für Bauunternehmer, Handwerker und Architekten.
Bei Bauvorhaben ist grundsätzlich die Einhaltung der „Allgemein anerkannten Regeln der Technik“ (AaRdT) zum Zeitpunkt der Abnahme maßgeblich. Auch dann, wenn sich diese zwischen Vertragsabschluss und Abnahme verändert haben. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit seiner Entscheidung vom 14.11. 2017 (VII ZR 65/14) bestätigt. Neu daran sei, dass ein höchstrichterliches Urteil diese bestehende Praxis bestätige, so der BVS. Soweit, so gut?
Schwammiger Rechtsbegriff AaRdT
Die AaRdT sind von enormer Bedeutung im Baugewerbe, vor allem für Auftragnehmer (AN), Planer und Architekten sowie Zulieferer. Die Regeln sind allerdings nicht gesetzlich definiert und unterliegen dynamischen, ständig fortschreitenden Veränderungen. Zudem müssen sie nicht unbedingt schriftlich dargestellt sein, eine nur „mündliche“ Überlieferung reicht völlig aus.
Auch Normen entsprechen nicht automatisch den AaRdT. Bekanntes Beispiel dafür ist die DIN 4109 Schallschutz, der gerichtlich wiederholt bescheinigt wurde, den AaRdT hinterher zu „hinken“.
Das wird kritisch bei größeren Projekten
Das höchstrichterliche Urteil bestätigt nun die Pflicht zur Einhaltung der AaRdT zum Zeitpunkt der Abnahme – und eben nicht bei Auftragserteilung. Das kann kritisch werden: bei großen Bauprojekten mit entsprechend langen Planungsphasen und Vergabeverfahren! Ändern sich während der Realisierung Vorschriften und Normen, besteht die Gefahr, dass die Einhaltung zwischenzeitlich veralteter Normen rechtlich nicht mehr genügt und die bauliche Leistung zum Zeitpunkt der Abnahme mangelhaft ist.
Daraus ergeben sich zwei nicht zu unterschätzende Risiken für Bauunternehmer, Architekten, Planer und Handwerker - bei Haftung und Kalkulation. Im Prinzip müssen die Auftragnehmer künftig zu erwartende höhere (und meist auch teurere) Anforderungen schon von Anfang an mit einpreisen.
Bei rund 3.300 baurechtlich relevanten Normen (DIN, EN, ISO) stehen die Chancen schließlich recht gut, dass die sich im Lauf der Bauzeit verändern - BER lässt grüßen…
Problemfall Umbau und Sanierung
Bei Umbau und Sanierung ist das mit den AaRdT etwas komplexer. Die Frage ist, ob die Regeln zum Zeitpunkt des Baus oder die aktuellen zum Zeitpunkt der Umbaumaßnahme gelten. Letzteres gilt für umfangreiche Sanierungen, ersteres für einfache. Die Grenze zwischen beiden ist allerdings fließend. Deshalb sollte das Verfahren vorab ausdrücklich mit dem Auftraggeber geregelt werden, auch mit einer möglichen Haftungsfreizeichnung.
BGH: Bauherr hat zwei Optionen
Für den Fall einer Änderung der Regeln während der Bauzeit urteilt der Bundesgerichtshof: “In einem solchen Fall hat der Auftragnehmer den Auftraggeber regelmäßig über die Änderung und die damit verbundenen Konsequenzen und Risiken für die Bauausführung zu informieren, es sei denn, diese sind dem Auftraggeber bekannt oder ergeben sich ohne Weiteres aus den Umständen.
Der Auftraggeber hat sodann im Regelfall zwei Optionen: Er kann zum einen die Einhaltung der neuen allgemein anerkannten Regeln der Technik verlangen mit der Folge, dass ein aufwändigeres Verfahren zur Herstellung erforderlich werden kann, als im Zeitpunkt des Vertragsschlusses von den Parteien vorgesehen. Der Auftraggeber kann zum anderen von einer Einhaltung der neuen AaRdT und damit von einer etwaigen Verteuerung des Bauvorhabens absehen.“