Die Absurdität einer „Legionellenschaltung“

Spätestens mit dem Erscheinen der beiden DVGW Arbeitsblätter W 556 und W 557 sollte auch dem letzten Anbeter der thermischen Desinfektion etwas mulmig um die Magengegend geworden sein. Unsere Erfahrungen reichen zurück bis in die Anfänge der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts – und belegen, wie unwirksam diese Vorgehensweise zum Hygieneerhalt bzw. zur Wiederherstellung der Trinkwassergüte in Trinkwasseranlagen ist.

Denn seit mehreren Jahrzehnten hat Franke im Rahmen der Ursachenanalyse kontaminierter Trinkwassersysteme eine Kausalität zwischen dem regelmäßigen „Pasteurisierungsversuch“ des Trinkwassers und dem Anstieg der KBE-Werte registriert. Will meinen, in Objekten, in denen regelmäßig – sozusagen prophylaktisch – den Legionellen per Thermie der Garaus gemacht werden sollte, nahmen die Kontaminationswerte nicht etwa wie erwartet ab, im Gegenteil.

Schon Anfang der 90er-Jahre haben wir uns fragen müssen, ob wir Legionella pneumophila und Co. nicht gewaltig unterschätzen, wenn wir meinen, ihnen mit 70 °C Angst einflößen zu können. Wenn man bedenkt, dass ihre Vorfahren bereits seit knapp vier Milliarden Jahren das Überleben trainieren und dabei Lava, Druck und Kälte offensichtlich kein Problem für sie waren. Und die Evolutionstheorie lehrt, dass eine Spezies durchaus in der Lage ist, sich durch Zufallsmutationen und Selektion an die für sie ungünstigen Rahmenbedingungen anzupassen.

Dann sollte man sich doch wenigstens etwas komisch vorkommen, wenn man, vor dem Hintergrund dieses Wissens, mit einer Legionellenschaltung „um die Ecke kommt“. Die Metapher eines regelmäßigen Saunabesuches mit seiner konditionierenden Wirkung erscheint hier nicht unangebracht.

Vermehrung auch über 60 °C

Umso erstaunlicher ist es für mich, dass es für so manche Sanitärfachleute heute immer noch als Überraschung taugt, wenn wie kürzlich die Wissenschaft den vermeintlich überraschenden Nachweis erbringt, dass sich Legionella pneumophila sogar in Temperaturbereichen oberhalb von 60 °C replizieren. Uns waren schon vor Jahren Resistenzen von bis über 80 °C bekannt. Und wir haben dies mitnichten als Geheimwissen behandelt. Prof. Dr. Dieter Kreysig, mit dem ich viele Jahre auf Vortragstour durch Deutschland gereist bin, hat schon vor Jahren mahnend vor der Konditionierungsmaßnahme Legionellenschaltung gewarnt.

Also bleibt die Frage nach der Legitimität der thermischen Desinfektion im Rahmen der allgemein anerkannten Regeln der Technik: Auch wenn es meiner Meinung nach schon lange zum Wissen eines oder einer der Weiterbildungspflicht verpflichteten Fachmannes oder Fachfrau gehören sollte, dass die thermische Desinfektion grundsätzlich erst einmal wie jede andere auch als Desinfektion mit all ihren Konsequenzen zu begreifen ist, begrüße ich es sehr, dass sich dieser Geist jetzt endlich in einem allgemein akzeptierten Regelwerk wiederfindet.

Unsere Erfahrungen besagen nämlich, dass dieses Verständnis nicht selbstverständlich ist und das Problembewusstsein offensichtlich immer noch bestimmt wird durch die verschiedenen Desinfektionsverfahren und -mittel. So ist die Sensibilität und Vorsicht bis hin zur Skepsis bezüglich möglicher oder unbekannter Folgen bei einer Desinfektion mittels solcher Stoffe wie Chlor, Chlordioxid, Kalzium- und Natriumhypochlorid oder Ozon immer noch weit höher als bei Hitze. Aber auch für letztere sollte der Grundsatz gelten: „Nur, wenn unbedingt notwendig!“

Und dieser Grundsatz findet sich jetzt sinngemäß auch in den beiden erwähnten Regelwerken. Vereinfacht kann man sagen, dass sich das Arbeitsblatt W 556 mit der Trinkwasserdesinfektion befasst und das Arbeitsblatt W 557 mit der Anlagendesinfektion.

Wiederholend nicht sinnvoll

Im Rahmen der Trinkwasserdesinfektion ist die thermische jetzt nicht mehr als zielführend bewertet, wenn sie wie bisher als regelmäßig wiederholende Maßnahme („Legionellenschaltung“) verstanden wird. Und damit würde es heute demjenigen, dessen Liebe ihr immer noch gilt, schwerfallen, sie noch als allgemein anerkannte Regel der Technik zu charakterisieren.

Etwas anders sieht es aus, wenn wir sie als eine Anlagendesinfektion anwenden wollen. Hier ist sie weiterhin noch als legitime Maßnahme genannt. Allerdings ist ihre Legitimität an Vorbedingungen geknüpft. Und damit haben wir schon mal einen wesentlichen Unterschied zu den üblicherweise anzutreffenden Bedingungen. Bisher wurde die thermische Desinfektion nämlich geradezu leichtfertig und ohne die Spur eines Problembewusstseins angewendet nach dem Motto: „Je öfter desto besser!“ Nach Vorbedingungen, die zuvor erfüllt sein müssen, hat hier kaum jemand gefragt.

Bei der chemischen Desinfektion war eine solch lockere Einstellung hingegen eher die Ausnahme. In ihrem Kontext zitierte jeder geradezu reflexartig, gepaart mit einer ernsten Miene und erhobenem Zeigefinger, den Begriff des Minimierungsgebotes aus dem Infektionsschutzgesetz. Aber diese Grundeinstellung sollte spätestens seit dem Arbeitsblatt W 557 jetzt auch bei der Desinfektion mittels Hitze an den Tag gelegt werden. Wenn nicht dem Wortlaut nach, so doch zumindest nach dem Geiste. Denn so, wie bei jeder anderen Desinfektionshandlung, sollten auch vor einer thermischen zwei Vorbedingungen erfüllt sein:

  1. Im Rahmen einer mikrobiologischen Untersuchung des Trinkwassers sollte eine Kontamination detektiert worden und
  2. alle anderen Maßnahmen zur Beseitigung der Kontamination wie betriebs- und bautechnische Maßnahmen gescheitert sein.

Was man aber als zumindest gleichbedeutend anmahnen muss, ist die Nachuntersuchung, also die Notwendigkeit der Kontrolle der Wirksamkeit dessen, was da passiert ist oder eben auch nicht passiert ist. Eine solche hat es zumindest im Zusammenhang mit der „Legionellenschaltung“ in der Regel nicht gegeben, bei der nicht selten ohne Sinn und Verstand regelmäßig am Mittwochabend um 18 Uhr der Speicher aufgeheizt und eventuell noch kontrolliert wurde, ob aus jeder Zapfstelle auch mindestens drei Minuten ein mindestens 70 °C heißes Wasser ausgelaufen ist. Die Resultate und Folgen sind weitestgehend im Dunkeln des Desinteresses geblieben. Eine interessante Studie, die wir seinerzeit mit einer bekannten Uni durchgeführt haben, hat sehr eindrucksvoll die Folgen belegt. Die regelmäßigen thermischen Behandlungen der Trinkwasser-Installation wurden im Rahmen dieser Studie mit mikrobiologischen Untersuchungen begleitet. Dabei wurde die von uns vermutete Kausalität zwischen regelmäßigem Hitzeangriff und Zunahme der Kontamination quasi beweisführend belegt.

Erfolge überprüfen und belegen

Insofern sollte es Konsens sein, dass eine thermische Desinfektion, so sie die Kriterien einer allgemein anerkannten Regel der Technik erfüllen will, einerseits nur noch eine verhältnismäßig seltene Maßnahme sein kann und andererseits nicht ohne belegte Notwendigkeit und überprüften Erfolg angewendet werden sollte. Und dies hat nun endlich auch im Regelwerk seinen Niederschlag gefunden. Allerdings weiterhin mit einem Schönheitsfehler, wenn man sich den im Arbeitsblatt W 557 wieder einmal, nach meinem Verständnis, gescheiterten Versuch einer Definitionsfindung anschaut. Auch hier wurden bedauerlicherweise wieder die bereits erwähnten Werte von 3 Minuten und 70 °C aus dem alten Arbeitsblatt W 551 übernommen; zwar um eine Begrifflichkeit geändert, nämlich statt „mindestens“ wurden die Wörtchen „länger als“ verwendet, was allerdings als akademischer Krümelkram gelten sollte.

Es bleibt aus meiner Sicht der Versuch ein Ärgernis, die thermische Desinfektion nach wie vor mit Hilfe zweier fest geschriebener Parameter definieren zu wollen. Das hinterlässt beim Laien die Vorstellung, man müsse nur dreieinhalb Minuten warmes Wasser mit einer Temperatur von 71 °C durch die Leitungen laufen lassen, und schon hätte man selbige desinfiziert.

Desinfektion ist das Ergebnis der Handlung!

Stattdessen sollte man sich beispielhaft an dem Geist der Desinfektionsdefinition der Mikrobiologen orientieren, wonach eine solche nicht irgendeine Handlung mit definierten Parametern ist, sondern das Ergebnis einer Handlung. Bezogen auf Legionella pneumophila ist dieses nachzuweisende Ergebnis nämlich ein Abtötungsverhältnis von 5 log. Stufen. Da die Bakterien aber, wie wir seit Langem wissen, in Abhängigkeit ihres bisherigen „Lebenslaufes“ unterschiedliche Resistenzen entwickeln können, wäre es doch nahezu absurd, ein Bakterium, welches eine 80 °C heiße Resistenz entwickelt hat, mit 71 °C heißem Wasser „belästigen“ und das Ganze obendrein noch Desinfektion nennen zu wollen.

Ähnlich wie bei allen anderen Desinfektionsverfahren auch, besteht bei der thermischen eine der wichtigsten Herausforderungen darin, neben der Findung der richtigen Dosis (in diesem Falle die richtigen Werte für Temperatur und Zeit), die Bakterien in all ihren Habitaten und Rückzugsräumen einer komplexen Trinkwasser- Installation auch tatsächlich zu erreichen. Deshalb sollte zwingend als repräsentatives Kriterium für die Parameter Temperatur und Zeit nicht das aus der Zapfstelle austretende Wasser sein, sondern alle oder zumindest die repräsentativen Materialoberflächen der Installation.

Erst wenn hier die zuvor empirisch ermittelten Werte für Temperatur und Zeit gemessen werden können, kann man schlüssig annehmen, dass der gesamte Biofilm auch mit der mindestens notwendigen Temperatur penetriert wurde. Und alle Parameter sollten akribisch erfasst und protokolliert werden, am vorteilhaftesten über die Gebäudeautomation.

Damit schafft der Betreiber eines Gebäudes zugleich die Voraussetzungen, die Maßnahme thermische Desinfektion hinsichtlich ihrer möglichen Schwachstellen, also Ursachen des eventuellen Scheiterns, zu erkennen und abzustellen.

Montag, 13.03.2017