Denn seit mehreren Jahrzehnten hat
Franke im Rahmen der Ursachenanalyse
kontaminierter Trinkwassersysteme eine
Kausalität zwischen dem regelmäßigen
„Pasteurisierungsversuch“ des Trinkwassers
und dem Anstieg der KBE-Werte
registriert. Will meinen, in Objekten, in
denen regelmäßig – sozusagen prophylaktisch
– den Legionellen per Thermie
der Garaus gemacht werden sollte, nahmen
die Kontaminationswerte nicht etwa
wie erwartet ab, im Gegenteil.
Schon Anfang der 90er-Jahre haben
wir uns fragen müssen, ob wir Legionella
pneumophila und Co. nicht gewaltig unterschätzen,
wenn wir meinen, ihnen mit
70 °C Angst einflößen zu können. Wenn
man bedenkt, dass ihre Vorfahren bereits
seit knapp vier Milliarden Jahren das
Überleben trainieren und dabei Lava,
Druck und Kälte offensichtlich kein Problem
für sie waren. Und die Evolutionstheorie
lehrt, dass eine Spezies durchaus
in der Lage ist, sich durch Zufallsmutationen
und Selektion an die für sie ungünstigen
Rahmenbedingungen anzupassen.
Dann sollte man sich doch wenigstens
etwas komisch vorkommen, wenn man,
vor dem Hintergrund dieses Wissens, mit
einer Legionellenschaltung „um die Ecke
kommt“. Die Metapher eines regelmäßigen
Saunabesuches mit seiner konditionierenden
Wirkung erscheint hier nicht
unangebracht.
Vermehrung auch über 60 °C
Umso erstaunlicher ist es für mich, dass
es für so manche Sanitärfachleute heute
immer noch als Überraschung taugt,
wenn wie kürzlich die Wissenschaft den
vermeintlich überraschenden Nachweis
erbringt, dass sich Legionella pneumophila
sogar in Temperaturbereichen oberhalb
von 60 °C replizieren. Uns waren
schon vor Jahren Resistenzen von bis
über 80 °C bekannt. Und wir haben dies
mitnichten als Geheimwissen behandelt.
Prof. Dr. Dieter Kreysig, mit dem ich viele
Jahre auf Vortragstour durch Deutschland
gereist bin, hat schon vor Jahren
mahnend vor der Konditionierungsmaßnahme
Legionellenschaltung gewarnt.
Also bleibt die Frage nach der Legitimität
der thermischen Desinfektion im
Rahmen der allgemein anerkannten Regeln
der Technik: Auch wenn es meiner
Meinung nach schon lange zum Wissen
eines oder einer der Weiterbildungspflicht
verpflichteten Fachmannes oder Fachfrau
gehören sollte, dass die thermische Desinfektion
grundsätzlich erst einmal wie jede
andere auch als Desinfektion mit all ihren
Konsequenzen zu begreifen ist, begrüße
ich es sehr, dass sich dieser Geist jetzt endlich
in einem allgemein akzeptierten Regelwerk
wiederfindet.
Unsere Erfahrungen besagen
nämlich,
dass dieses Verständnis nicht selbstverständlich
ist und das Problembewusstsein
offensichtlich immer noch
bestimmt wird durch die verschiedenen
Desinfektionsverfahren und -mittel. So
ist die Sensibilität und Vorsicht bis hin
zur Skepsis bezüglich möglicher oder
unbekannter Folgen bei einer Desinfektion
mittels solcher Stoffe wie Chlor,
Chlordioxid, Kalzium- und Natriumhypochlorid
oder Ozon immer noch weit
höher
als bei Hitze. Aber auch für letztere
sollte der Grundsatz gelten: „Nur,
wenn unbedingt notwendig!“
Und dieser Grundsatz findet sich jetzt
sinngemäß auch in den beiden erwähnten
Regelwerken. Vereinfacht kann man
sagen, dass sich das Arbeitsblatt W 556
mit der Trinkwasserdesinfektion befasst
und das Arbeitsblatt W 557 mit der Anlagendesinfektion.
Wiederholend nicht sinnvoll
Im Rahmen der Trinkwasserdesinfektion
ist die thermische jetzt nicht mehr als
zielführend bewertet, wenn sie wie bisher
als regelmäßig wiederholende Maßnahme
(„Legionellenschaltung“) verstanden
wird. Und damit würde es
heute demjenigen, dessen Liebe ihr immer
noch gilt, schwerfallen, sie noch als
allgemein anerkannte Regel der Technik
zu charakterisieren.
Etwas anders sieht es aus, wenn wir
sie als eine Anlagendesinfektion anwenden
wollen. Hier ist sie weiterhin noch als
legitime Maßnahme genannt. Allerdings
ist ihre Legitimität an Vorbedingungen
geknüpft. Und damit haben wir schon
mal einen wesentlichen Unterschied zu
den üblicherweise anzutreffenden Bedingungen.
Bisher wurde die thermische
Desinfektion nämlich geradezu leichtfertig
und ohne die Spur eines Problembewusstseins
angewendet nach dem
Motto: „Je öfter desto besser!“ Nach
Vorbedingungen, die zuvor erfüllt sein
müssen, hat hier kaum jemand gefragt.
Bei der chemischen Desinfektion war
eine solch lockere Einstellung hingegen
eher die Ausnahme. In ihrem Kontext
zitierte
jeder geradezu reflexartig, gepaart
mit einer ernsten Miene und erhobenem
Zeigefinger, den Begriff des Minimierungsgebotes
aus dem Infektionsschutzgesetz.
Aber diese Grundeinstellung
sollte spätestens seit dem Arbeitsblatt W
557 jetzt auch bei der Desinfektion mittels
Hitze an den Tag gelegt werden.
Wenn nicht dem Wortlaut nach, so doch
zumindest nach dem Geiste. Denn so,
wie bei jeder anderen Desinfektionshandlung,
sollten auch vor einer thermischen
zwei Vorbedingungen erfüllt sein:
- Im Rahmen einer mikrobiologischen Untersuchung des Trinkwassers sollte eine Kontamination detektiert worden und
- alle anderen Maßnahmen zur Beseitigung der Kontamination wie betriebs- und bautechnische Maßnahmen gescheitert sein.
Was man aber als zumindest gleichbedeutend
anmahnen muss, ist die Nachuntersuchung, also die Notwendigkeit
der Kontrolle der
Wirksamkeit dessen, was da
passiert ist oder eben auch
nicht passiert ist. Eine solche
hat es zumindest im Zusammenhang
mit der „Legionellenschaltung“
in der Regel
nicht gegeben, bei der nicht
selten ohne Sinn und Verstand
regelmäßig am Mittwochabend
um 18 Uhr der Speicher
aufgeheizt und eventuell noch
kontrolliert wurde, ob aus jeder
Zapfstelle auch mindestens
drei Minuten ein mindestens
70 °C heißes Wasser
ausgelaufen ist. Die Resultate
und Folgen sind weitestgehend
im Dunkeln des Desinteresses
geblieben. Eine interessante
Studie, die wir seinerzeit
mit einer bekannten Uni
durchgeführt haben, hat sehr
eindrucksvoll die Folgen belegt.
Die regelmäßigen thermischen
Behandlungen der
Trinkwasser-Installation wurden
im Rahmen dieser Studie
mit mikrobiologischen Untersuchungen
begleitet. Dabei
wurde die von uns vermutete
Kausalität zwischen regelmäßigem
Hitzeangriff und Zunahme
der Kontamination
quasi beweisführend belegt.
Erfolge überprüfen und belegen
Insofern sollte es Konsens sein,
dass eine thermische Desinfektion,
so sie die Kriterien einer
allgemein anerkannten Regel
der Technik erfüllen will, einerseits
nur noch eine verhältnismäßig
seltene Maßnahme sein
kann und andererseits nicht
ohne belegte Notwendigkeit
und überprüften Erfolg angewendet
werden sollte. Und
dies hat nun endlich auch im
Regelwerk seinen Niederschlag
gefunden. Allerdings weiterhin
mit einem Schönheitsfehler,
wenn man sich den im Arbeitsblatt
W 557 wieder einmal,
nach meinem Verständnis, gescheiterten
Versuch einer Definitionsfindung
anschaut. Auch hier wurden bedauerlicherweise
wieder die bereits erwähnten
Werte von 3 Minuten und
70 °C aus dem alten Arbeitsblatt
W 551 übernommen;
zwar um eine Begrifflichkeit
geändert, nämlich statt „mindestens“
wurden die Wörtchen
„länger als“ verwendet,
was allerdings als akademischer
Krümelkram gelten sollte.
Es bleibt aus meiner Sicht
der Versuch ein Ärgernis, die
thermische Desinfektion nach
wie vor mit Hilfe zweier fest geschriebener Parameter definieren zu
wollen. Das hinterlässt beim Laien die
Vorstellung, man müsse nur dreieinhalb
Minuten warmes Wasser mit einer Temperatur
von 71 °C durch die Leitungen
laufen lassen, und schon hätte man selbige
desinfiziert.
Desinfektion ist das Ergebnis der Handlung!
Stattdessen sollte man sich beispielhaft
an dem Geist der Desinfektionsdefinition
der Mikrobiologen orientieren, wonach
eine solche nicht irgendeine Handlung
mit definierten Parametern ist, sondern
das Ergebnis einer Handlung. Bezogen
auf Legionella pneumophila ist dieses
nachzuweisende Ergebnis nämlich ein
Abtötungsverhältnis von 5 log. Stufen.
Da die Bakterien aber, wie wir seit Langem
wissen, in Abhängigkeit ihres bisherigen
„Lebenslaufes“ unterschiedliche
Resistenzen entwickeln können, wäre es
doch nahezu absurd, ein Bakterium,
welches eine 80 °C heiße Resistenz entwickelt
hat, mit 71 °C heißem Wasser
„belästigen“ und das Ganze obendrein
noch Desinfektion nennen zu wollen.
Ähnlich wie bei allen anderen Desinfektionsverfahren
auch, besteht bei der
thermischen eine der wichtigsten Herausforderungen
darin, neben der Findung
der richtigen Dosis (in diesem Falle die
richtigen Werte für Temperatur und Zeit),
die Bakterien in all ihren Habitaten und
Rückzugsräumen einer komplexen Trinkwasser-
Installation auch tatsächlich zu erreichen.
Deshalb sollte zwingend als repräsentatives
Kriterium für die Parameter
Temperatur und Zeit nicht das aus der
Zapfstelle austretende Wasser sein, sondern
alle oder zumindest die repräsentativen
Materialoberflächen der Installation.
Erst wenn hier die zuvor empirisch
ermittelten
Werte für Temperatur und
Zeit gemessen werden können, kann
man schlüssig annehmen, dass der gesamte
Biofilm auch mit der mindestens
notwendigen Temperatur penetriert
wurde. Und alle Parameter sollten akribisch
erfasst und protokolliert werden,
am vorteilhaftesten über die Gebäudeautomation.
Damit schafft der Betreiber eines
Gebäudes zugleich die Voraussetzungen,
die Maßnahme thermische Desinfektion
hinsichtlich ihrer möglichen
Schwachstellen, also Ursachen des eventuellen
Scheiterns, zu erkennen und
abzustellen.